Gabi Reinmann

Hochschuldidaktik

Instructional MacGyvers

Emergency Remote Teaching – ich finde diesen Begriff tatsächlich sehr treffend für das, was gerade an unseren Hochschulen passiert: die Adhoc-Digitalisierung von Lehrangeboten und das flächendeckend. Hodges, Moore, Lockee, Trust und Bond (2020) beschreiben in ihrem Artikel in Educause Review „The difference between emergeny remote teaching and online learning” anschaulich die aktuelle Situation (im SoSe 2020), in die alle Lehrende derzeit (international) geworfen sind, unabhängig davon, ob sie nun viel, etwas oder kaum bis gar keine Erfahrung mit den Einsatz digitaler Technologien in der Hochschullehre haben.

Diese Situation ist gekennzeichnet durch einen hohen Druck, unglaublich wenig Zeit und reduzierte Verfügbarkeit von Hilfen, denn: Natürlich sind die Support-Angebote für Lehrende nicht linear zum Bedarf von heute auf morgen mitgewachsen. Kurz: Schnelle Lösungen müssen her unter nicht eben idealen Bedingungen: „faculty might feel like instructional MacGyvers“. Mit einer professionellen Planung und Entwicklung von Lehre, die von vornherein als Online-Angebot geplant ist (etwa im Rahmen von berufsbegleitenden Studiengängen, in Fernuniversitäten oder als internationale Angebote mit einer verteilten Zielgruppe), dürfe man das, so die Autoren, nicht gleichsetzen, weshalb sie auch eine andere Bezeichnung vorschlagen, um den „Notfallcharakter“ deutlich zu machen.

Wenn man diesen Notfallcharakter berücksichtigt, dann hat das mindestens zwei Implikationen – und diese Botschaften aus dem Text umschreibe ich jetzt mit eigenen Worten:

Zum einen darf man das jetzt laufende große Feldexperiment einer Adhoc-Digitalisierung nicht als Indikator dafür verwenden, wie digitale Lehrangebote prinzipiell aussehen sollten (oder künftig aussehen werden). Dies nämlich könnte Wasser auf den Mühlen von Kritikern sein, die der Online-Lehre pauschal eine schlechte Qualität bzw. eine schlechtere Qualität als der Präsenzlehre unterstellen. Denn: Natürlich können die digitalen Lehrangebote, die derzeit unter den skizzierten schlechten Bedingungen produziert werden, nicht die Qualität haben, die potenziell erreichbar ist, wenn man man zeitig planen kann, über langjährige Erfahrung verfügt und gute Unterstützung hat.

Zum anderen sollte man es tunlichst vermeiden, nach diesem Semester Lehrevaluationen der gewohnten Art durchzuführen. Dies würde im besten Fall keine brauchbaren Informationen liefern, weil ohnehin allen klar ist, dass man von idealen Angeboten mehr oder weniger weit entfernt ist. Im schlimmsten Fall würde man Lehrende diskreditieren, die ihr Bestes gegeben haben, um die Hochschullehre überhaupt aufrechtzuerhalten. Das heißt allerdings nicht, dass man gar nichts erfassen oder bewerten sollte, doch diese „Evaluation“ muss andere Akzente setzen als sonst. Die Vorschläge der Autoren blieben hier allerdings aus meiner Sicht eher dünn.

Freilich aber kann Not durchaus erfinderisch machen, und das gilt für die aktuelle Situation in der Hochschullehre ebenso: Auch mit wenigen Mitteln können kreative und effektive Szenarien entstehen, und die, so meine ich, müssten wir unbedingt finden und teilen: Nicht alles, was einfach ist, muss schlecht sein, und nicht alles, was man – etwas Erfahrung vorausgesetzt – intuitiv entscheidet, muss sich am Ende als unreflektiert herausstellen.

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