Gabi Reinmann

Hochschuldidaktik

Geistige Sterilität und Durchschnittlichkeit

Peter-André Alt hat ein Buch geschrieben über die Universität: Alt, P.A. (2021). Exzellent!? Zur Lage der deutschen Universität. München: Beck. Der Klappentext verspricht eine Lektüre „jenseits der Rituale von Festreden und Streitschriften“ zur Frage, was die Universität heute leisten soll und was nur sie leisten kann“. Vorweg mein Fazit: Die Lektüre lohnt sich, es geht aber sehr wohl auch um Streit und am Ende feiert selbst Alt die Universität – was ja kein Manko ist.

Das Buch umfasst drei Teile: Teil I ist eine historische Skizze und Einschätzung der Entwicklung der Universität seit den 1960er Jahren. Teil II bezeichnet der Autor selbst als einen analytischen Teil: eine Analyse der Universität „als schwierige Institution“, in der viele der eine Universität konstituierenden Bereiche zur Sprache kommen: Bildung und Lehre, das Fachprinzip und der akademische Streit, Führung und Verwaltung (allerdings in anderer Reihenfolge). Teil II beschäftigt sich im weitesten Sinne (neben zusätzlichen Analysen) mit Entwicklungsmöglichkeiten der Universität; der Titel verrät bereits, dass Alt hier auf die Gestaltung von Vielfalt setzt.

Alle drei Teile sind verständlich geschrieben, jeweils kenntnisreich verfasst, gut begründet und entsprechend lesenswert. Selber habe ich aus den zahlreichen Analysen Alts am meisten mitgenommen. Historische Rückblicke zur Universität, wie in Teil I, gibt es doch einige, etwa im Buch von Heinz-Elmar Tenorth aus dem Jahr 2018 (siehe dazu hier). Es finden sich bereits ein paar Rezensionen mit ausführlichen Inhaltsdarstellungen, die ich hier entsprechend nicht noch einmal wiederhole (siehe z.B. hier oder hier). Ich beschränke mich auf ein paar Botschaften aus dem Buch, die mir besonders aufgefallen sind, mich zum Nachdenken angeregt haben und/oder mir besonders treffend erscheinen.

Als jemand, der sich schon viel mit forschendem Lernen und „Bildung durch Wissenschaft“ befasst hat, freue ich mich natürlich, wenn der Autor zu dem Schluss kommt, dass doch eine ganze Menge von Humboldts Idealen bleibt (was oft für unrealistisch oder anachronistisch gehalten wird): „Von Humboldt bleibt die Verpflichtung, gerade in die heterogene Universität unserer Zeit, den dialektischen Treibsatz einer Einheit von Lehre und Forschung einzubringen. […] Humboldt ist nicht der Universitätssonntag nach den Wochentagen der Massenvorlesungen und Drittmittelwettbewerbe. Humboldt bedeutet vielmehr ein intellektuelles Korrektiv …“ (S. 89 f.) – nämlich ein Korrektiv gegenüber einer Vielzahl utilitaristischer Tendenzen.

Die Einschätzung, dass „das Prinzip der Fächer“ an Universitäten am Ende sinnvoll sei und zu einer Konstellation führe, die immer noch „die beste aller möglichen Welten“ (S. 103) ist, kann ich gut nachvollziehen. Natürlich mündet das auch in Auseinandersetzungen, aber der damit verbundene unvermeidliche Streit kann prinzipiell produktiv bleiben und so unter anderem interdisziplinäre Zusammenarbeit ermöglichen. Kritisch kommentiert Alt allerdings – und das scheint mir ebenfalls sehr wichtig –, dass Interdisziplinarität heute nicht selten eine „rein strategische Dimension“ (S. 95) hat und dann nicht wissenschaftlich begründet ist, sondern eher eine Reaktion auf Wettbewerbsdruck darstellt.

Relativ ausführlich setzt sich der Autor mit „Führungsparadoxien“ auseinander. Hier spricht bzw. schreibt natürlich jemand mit Erfahrung – aus der Perspektive von Universitätsleitungen. Aus der Perspektive anderer Akteursgruppen dürfte sich hier so manche Sachlage etwas anders darstellen, mindestens aber Folgerungen würden wohl stellenweise anders aussehen. Alt räumt immerhin ein: „Die Drittmittelkultur zeigt, dass wissenschaftliche Forschung heute nur noch bedingt autonom ist, da sie in der Verantwortung für den Gesamtunterhalt der Hochschule steht“ (S. 119). Das könne man bedauern, beklagen solle man es aber nicht. Autonomie sei zwar noch wichtig, aber der Wert der Autonomie habe jetzt eben eine instrumentelle Funktion. Das scheint mir doch eine diskussionswürdige weitreichende Aufforderung zu sein, und so recht passt sie nicht zu vielen anderen Stellen in diesem Buch.

Auch die „gute Lehre“ wird besprochen – nun ja, Alt ist freilich kein Bildungswissenschaftler und so bleibt es doch weitgehend bei Allgemeinplätzen, die weder falsch sind noch einen zusätzlichen Beitrag zur aktuellen Diskussion liefern. Die Aussagen in diesem Kapitel beruhen durchaus auf genauen Beobachtungen. Alts Plädoyer für mehr Austausch über Lehre (S. 137 f.) kann ich selber nur unterstreichen; auch der Ruf nach mehr institutioneller Beachtung der Lehre ist sicher richtig (S. 140 f.). Ich lese stellenweise aber auch eine Tendenz zu Zentralisierung, Standardisierung und Weiterbildungszwang heraus, und hier denke ich nicht, dass das auch nur ansatzweise zielführend ist.

Die für mich beste Analyse liefert das Kapitel „verwaltete Wissenschaft“ in Teil II: Es mag nichts Neues sein, wenn Alt schreibt: „Wissenschaft und Administration verhalten sich in vielfacher Hinsicht antagonistisch zueinander“ (S. 149). Warum das so ist und wie sich das heute darstellt, wird hier aber ausgesprochen anschaulich beschrieben. Essenziell erscheint mir in diesem Zusammenhang Alts These, dass es heute zu viele verschiedene Funktionen sind, welche die Hochschulen übernehmen sollen, was nicht nur zu Überlastung führt, sondern auch zu immer mehr inneren Widersprüchen (S. 162). Und wie reagieren Universitäten darauf? Sie erarbeiten strategische Konzepte, denn sie wollen zeigen, wie gut sie sind, wie kompetent sie all die wachsenden Ansprüche bewältigen und wie sie im Vergleich zu anderen herausragen. Allerdings: „Die Ähnlichkeit der strategischen Konzepte, die Universitäten benutzen, spiegelt sich in der Verwechselbarkeit ihrer Leitbilder“ (S. 162). Geradezu entwaffnend liest sich hier die weitere Leitbild-Diagnose des Autors: „Kaum etwas wirkt eintöniger als die Sprache der Mission Statements, mit denen Universitäten auf der ganzen Welt ihr institutionelles Profil, ihren Wertekanon und ihre Selbstverpflichtung beschreiben. Ausgerechnet die Textsorte, die wie eine Magna Charta das Außergewöhnliche einer Institution beleuchten sollte, verkommt zu einem Stück geistiger Sterilität und Durchschnittlichkeit. Überall tauchen die gleichen Schlagwörter auf: Forschungsexzellenz, Nachwuchsförderung, Innovationskraft, Gleichstellung, Synergien, Kooperation, Diversität, Kommunikationskultur, Partizipation, Chancenparität, Toleranz, Nachhaltigkeit […] ein trauriges Gemisch aus Schlagwörtern ohne Programmgehalt“ (S. 163). Also, hier möchte ich eigentlich nur noch die Frage ergänzen: Wie kommt man denn da (wieder) raus? Alt plädiert in Teil III für Vielfalt und unterschiedliche Universitätsprofile: Sucht er einen Ausweg am Ende doch wieder in Leitbildern – nur profilierter? Die Gefahr, sich im Kreis zu drehen, scheint mir da groß zu sein. Warum arbeiten wir nicht an EINEM Leitbild für die Institution Universität – etwa in Abgrenzung zu anderen Hochschultypen, wie es Alt auch selbst beginnt, wenn er die Besonderheiten der Fachhochschulen im darauffolgenden Kapitel diskutiert?

Interessant sind auch die Beobachtungen des Autors zur Promotionskultur. Einen Punkt möchte ich hier herausgreifen. Es geht um die Frage, wie viele Publikationen und Tagungsbeiträge während der Promotion förderlich sind und wann es unproduktiv wird – eine Frage, die mich als Betreuerin von Dissertationen auch schon oft beschäftigt hat: Alt warnt hier aus meiner Sicht zu Recht vor „hektischer Betriebsamkeit“ und mahnt zu „Muße und Konzentration“, spricht sich gegen das Konkurrenzdenken aus, das speziell in Graduiertenschulen zu beobachten sei, und fordert dazu auf, mit gutem Beispiel voranzugehen, also auch selber nicht „unkontrolliert und undiszipliniert“ zu veröffentlichen (S. 193). Vielmehr gelte es in der Promotionsphase (und danach), die Neugierde zu kultivieren und weiterzuentwickeln (S. 196). Aber wie ist es um die Neugierde heute bestellt? Alts Diagnose ist auch hier ernüchternd, aber leider auch meiner Beobachtung zufolge gewiss nicht ausnahmslos, aber doch tendenziell zutreffend: Wissenschaftliche Ziele werden vielerorts in den Qualifikationsphasen pragmatisch oder strategisch ausgerichtet: „Der akademische Nachwuchs wird zunehmend auf die Instrumente des Selbstmanagements durch Kommunikation, Vermarktung und Vernetzung orientiert. Die Werbung für die eigene Person steht im Vordergrund und beeinflusst das öffentliche Auftreten. Publikationen und Projekte unterliegen in diesem Zusammenhang externen Zweckbestimmungen, weil sie zu Elementen individueller Imagekampagnen degradiert werden“ (S. 198). Auch hier stellt sich mir die Frage: Wie kommen wir da wieder raus? Alt plädiert unter anderem für weniger Promotionen, aber: Löst das das Problem wirklich? Mir schient dieses Selbstmarketing eher ein Spiegel unserer Zeit zu sein ….

Zu viel, zu hektisch, zu extrinsisch, zu homogen, zu instrumentalisiert – an vielen Stellen des Buches kommt Alt zu Einschätzungen, die solche und ähnliche Wertungen enthalten. Am Ende – im Fazit – heißt es dann aber: „Die permanente Ausdehnung der Verpflichtungen führte […] weder zur Qualitätsreduktion noch zum Zusammenbruch des Systems. Ermöglicht wurde diese keineswegs selbstverständliche Konstellation dadurch, dass die Universitäten ihre organisatorischen und im weitesten Sinne akademischen Kapazitäten optimiert haben“ (S. 260). Heißt das jetzt: weiter so? Offenbar, denn es folgt eine Auflistung der Leistungen der heutigen Universität (S. 260 ff.). Am Ende sei die Universität besser als es oft beklagt wird: „Das Gefühl, schlechter zu sein als andere, gehört zu den eigentümlichen Aspekten des universitären Selbstbildes, das hierzulande gepflegt wird“ (S. 262). Der Autor ergänzt dann doch ein „Aber“: Die wachsenden und sich erweiternden Zielsetzungen und Erwartungen würden nicht hinreichend reflektiert. Es gäbe viele Spannungsmomente, die Widersprüche für die Universitäten produzieren – diese sind im Buch ja gut beschrieben: „Expansion und Konzentration sollen sie gleichermaßen leisten, Auswahl und Vielfalt ermöglichen, Exzellenz und Bandbreite parallel sicherstellen, Führung und Teilhabe im selben System organisieren“ (S. 262). Das führe zu einem Mangel an Profilstärke, zu fehlendem Glanz und zu strategischer Phantasielosigkeit. Warum aber soll denn überhaupt jede Universität danach streben, heller zu glänzen, sich mehr zu profilieren und phantasievollere Strategien zu entwickeln als die anderen? Genau das produziert doch das Wettrennen, das im Laufe des Buches mehr als einmal als problematisch diagnostiziert wird – auf der individuellen wie kollektiven Ebene. Warum muss man es beklagen, wenn „die Grenzen zwischen den einzelnen Universitäten verschwimmen“? Alt spricht im Weiteren von „verteilten Kräften“ und „distribuierter Exzellenz“ (S. 263). Das hört sich vernünftig an und ließe sich wohl auch als leitendes Prinzip nutzen, ohne jede einzelne Universität zu einer für sich stehende Organisation zu machen, die sich ständig (wem gegenüber?) beweisen muss. Gleichzeitig fordert Alt Vertrauen von der Gesellschaft und einen „Verzicht auf kleinteilige Überprüfung und Kontrolle“ (S. 263 f.), was wohl in jedem Fall hilfreich wäre. Ob es auch hilft im Angesicht „nervöser Projekt- und Programmzyklen mit stets wechselnden Rahmenbedingungen“ (S. 264)? Da braucht es wohl mehr als Vertrauen, nämlich ein Umdenken, und Vielfalt alleine (das ist Alts Credo) wird das auch nicht richten. Am Ende ist es vielleicht so wie beim Klimawandel: Wenn etwas zu beenden wäre, was man als nicht erwünscht und/oder als für uns Menschen schädlich identifiziert hat, und dem etwas Humaneres entgegensetzen könnte, müssen das wirklich alle wollen und dann auch danach handeln – kollektiv.

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