Gabi Reinmann

Hochschuldidaktik

Begründet widersprechen

In unseren Studiengang „Medien und Kommunikation“ kommen vor allem Studierende, die Kommunikationswissenschaft studieren wollen. Dass der Studiengang gleichberechtigt mit „Mediendidaktik und -pädagogik“ auch einen bildungswissenschaftlichen Anteil hat, wird eher als lästig empfunden – wie die letzte (interne) Erhebung zeigt, in der fast 70% der Erstsemester kein Interesse an unseren Inhalten hat. Das macht die Lehre in diesem Fach alles andere als einfach, wie man sich denken kann. Das ist EIN Problem. Ein anderes Problem, das ich beobachte, ist, dass alles, was nicht unmittelbar „berufsrelevant“ erscheint, ebenfalls eher wenig Interesse auf sich zieht. Zusammen mit meinen Mitarbeitern bemühen wir uns seit Jahren, genau diese „Berufsrelevanz“ zu erhöhen, auch wenn das in unserem Fach schwierig ist, denn wir haben natürlich keine Ahnung, wo unsere Studierende am Arbeitsmarkt landen. Die Vielfalt der möglichen Felder ist groß, ein Versprechen auf „Berufsfähigkeit“ daher eine glatte Lüge.

Dieses Problem ist nicht spezifisch für unseren Studiengang – es ist grundsätzlich – so grundsätzlich wie die Frage, welchen Zweck die Universität überhaupt hat: Bildung oder Ausbildung? Ausbildung! Das hören wir alle und ich habe – das muss ich eingestehen – am Anfang meiner beruflichen Laufbahn nicht so sehr viel darüber nachgedacht. Die Gedanken aber kommen jetzt – häufiger und intensiver. Manchmal lähmen sie mich, weil ich mir nicht mehr sicher bin, wofür ich eigentlich noch die Verantwortung übernehmen kann: Soll ich die Studierende weiter anlügen und ihnen sagen, wir machen sie berufsfähig? Oder soll ich gegensteuern und darauf pochen, das es darum gar nicht gehe, sondern dass es das Ziel sein müsse, kritisch denken, methodisch handeln und verantwortungsvoll urteilen zu lernen? Letzteres führt dann mit Sicherheit dazu, dass der bildungswissenschaftliche Kernfachbereich noch unbeliebter wird.

Es gibt eine ganze Menge schlauer Leute, die sich in den letzten Jahren viele Gedanken genau dazu gemacht haben. Ich möchte nur einen an der Stelle herausgreifen und ein paar Zitate hervorheben. Unter dem Titel „Ein Studium ist keine Ausbildung“ hat Michael Walter bereits 2005 (online hier abrufbar) ein paar interessante Thesen und Argumente gebracht. Ich zitiere:

  • „Die Konzeption Humboldts, aber auch der mittelalterlichen Universitäten, kannte keinen prinzipiellen Unterschied zwischen Studenten und Professoren, sondern nur einen Unterschied in der Erkenntniskompetenz. Sie beruhte ihrerseits ebenso auf akkumuliertem, wenn auch unsicherem Wissen wie auf Erfahrung. Aufgrund ihrer Erfahrung und ihres Wissens, das sie weitergeben, verkürzen Professoren jenen Zeitraum, um diese Erfahrungen bzw. das temporär geltende Wissen selbst zu sammeln“ (Walter, 2005, S. 8).
  • Daraus folgert er auf der nächsten Seite: „Gute Studierende sind jene Studierende, die eines Tages in der Lage sind, ihren Professoren und Professorinnen begründet zu widersprechen und eigene Systeme und Modelle vorzuschlagen. Gute Professoren und Professorinnen sind jene, die ihre Studierenden in die Lage versetzen wollen zu widersprechen“ (Walter, 2005, S. 9). Das trifft es eigentlich ziemlich genau, was ich mir implizit immer so vorstelle, wie ich zumindest in dafür geeigneten Situationen (mit denen, die hierfür eine Bereitschaft signalisieren) versuche, dabei aber vor allem bei großen Gruppen natürlich massiv an Grenzen und auch auf Unverständnis stoße. Wichtig erscheint mir denn aber auch Walters Aufforderung an die Studierenden selbst:
  • „Studierende sollten … von der Universität … keine Berufsausbildung erwarten. Die Kompetenzen, die ein Studium vermittelt (oder vermitteln sollte), sind grundlegender und darum auch nachhaltiger Natur: das Erkennen und Durchdenken von Problemen, die anschliessende Suche nach Lösungen und, damit verknüpft, die Suche nach jenem Wissen, das für die Lösung von Bedeutung ist“ (Walter, 2005, S. 9).

Es gibt eine Reihe weiterer Autoren, die genau darin einen durchaus beachtlichen gesellschaftlichen, mithin auch ökonomischen Nutzen sehen. Oder von der anderen Seite her wie folgt von Peter Winterhoff-Spurk in der Ausgabe von Forschung und Lehre vom Februar dieses Jahres (ebenfalls noch online zugänglich hier) formuliert: „Was jetzt im Bildungsbereich – und besonders an den Universitäten – geschieht, ist die Begrenzung des Menschen auf Fertigkeiten und Begabungen, die seiner beruflichen Qualifikation und darüber hinaus den Interessen der Wirtschaft und des Staates dienen. Den Preis dafür werden die nächsten Studierendengenerationen – und später wir alle – zahlen müssen.“

Ich könnte noch einige andere Diagnosen ähnlicher Art hinzufügen, denen ich laut zustimmen kann. Nur Lösungen, die finde ich nicht. Wir können, wir wollen schließlich nicht zurück in vorherige Jahrhunderte. Universitäten sind einem Wandel unterzogen, ja es ist ja auch eine der Leitideen von Humboldt, dass sich die Universität selbst erneuern muss. Allerdings soll sie das „selbst“ und nicht unter dem Zwang von Ökonomie und Politik. Die Lösung kann also wohl nur bei uns selbst, bei denjenigen liegen, die Teil der Universität sind – bei den Professoren/innen und Studierenden. Aber das „Wie“, das ist freilich auch in meinem Kopf ein einziges großes Fragezeichen …

6 Kommentare

  1. Sehr interessante Frage, die Sie da aufgreifen.
    Ich bin selbst Studentin im Master und arbeite nebenbei als wissenschaftliche Hilfskraft der Uni. In meinem geisteswissenschaftlichen Studium habe ich beide Arten von Kursen erlebt. In den einen wurden Inhalte vermittelt, die auf spätere Berufe vorbereiten, andere waren eher „reine“ wissenschaftliche Theorie-Seminare, die zum Nachdenken und Philosophieren anregten. In den ersteren haben wir beispielhaft verschiedene Berufs- und Tätigkeitsbereiche kennengelernt, konnten unsere Schlüsselqualifikationen erweitern und profitierten auch von den Erfahrungen von Experten, die eingeladen wurden und von ihrem Beruf berichteten. In den anderen Seminaren war man gezwungen sich auf das Thema einzulassen, mitzudenken, kritisch zu reflektieren und eben zu „widersprechen“. Nicht selten gab es aber auch solche Seminare, in denen die Lehrenden eher ihre eigenen Forschungsarbeiten und Theorien beweihräuchterten, kritisches Denken war hier gar nicht erwünscht.
    Ich finde diese Mischung hervorragend und habe gute Erfahrungen damit gemacht. Ich denke gerade die Geisteswissenschaften haben es da sehr schwer mit dieser Zweiteilung. In den Ingenieurswissenschaften beispielsweise stellt sich die Frage gar nicht so sehr. Dort steht das Erlernen von techn. Prozessen und Fähigkeiten im Vordergrund. Ich denke diese Fächer sind noch ein bisschen mehr „ausbildungsorientiert“.
    Letztendlich weiß ich aber aus eigener Erfahrung und aus der Erfahrung anderer, dass erst in einem Praktikum und durch die inhaltliche Spezialisierung im Studium (z.B. Master) ein Studien- und damit Berufsschwerpunkt erfolgt. Ab dann beginnt eigentlich die „Ausbildung“. Das Studium kann also immer nur breitgefächert (Grund)Wissen und (Grund)Fähigkeiten vermitteln. Letztendlich höre ich auch oft, dass man viel des im Studium gelernten im Beruf gar nicht mehr unbedingt braucht. Was man aber braucht und im Idealfall gelernt hat, ist selbstständig zu arbeiten, Dinge zu hinterfragen und Ideen zu Lösung bestimmter Probleme zu entwickeln.
    Meine Schlüsselerlebniss zu diesem Ausbildungs/Bildungsdilemma im Studium war eine Projektphase im Master, in der wir mit einem Projekt in der Wirtschaft betraut wurden und jeweils von wissenschaftlicher als auch von wirtschaftlicher Seite betreut wurden. In diesem Projekt habe ich sehr interessante Erfahrungen gemacht und oft auch hautnah spüren dürfen, wie es ist, wenn sich Wissenschaft und Wirtschaft(lichkeit) gegenüber stehen und man quasi zwischen den Stühlen sitzt. Genau dieser Humboldtsche Gedanke hätte uns an dieser Stelle gar nicht weiter gebracht.
    Auf meiner Arbeit an der Uni erfahre ich inzwischen aber auch sehr spannende Szenarien in Projekten, wo diese Symbiose wunderbar funktioniert. Wir Hiwis werden eingebunden, unsere Ideen sind wichtig, ja wir sind geradezu gefordert selbstständig zu denken, zu hinterfragen und antworten auf ein Problem zu finden. Und hier hilft uns oft ein Blick in die Bücher, in die Wissenschaft. Es werden Theorien heran gezogen, kritisch beleuchtet und gegebenfalls für die Problemlösung angepasst. Auch Evaluationen habe ich in zwei Projekten schon durchführen dürfen.
    Wenn so ein Projekt erfolgreich verläuft und man sein theoretisches Wissen eibringen, aber auch praktische Erfahrungen sammeln kann, dann ist das wunderbar.
    Ich habe diese bildungstheoretischen Seminare früher auch nicht gerade geliebt. Aber bei mir legte sich der Schalter genau in dem Moment um, wo ich begriff, wie interessant und nützlich diese Wissenschaft bei der Beantwortung meiner persönlichen aber auch beruflichen Fragen und Probleme sein kann. 🙂

  2. Ich oute mich an dieser Stelle mal als stiller Leser (seit fast einem Jahr) und möchte anmerken, dass ich Ihre Art zu schreiben (mit persönlicher Note) sehr mag. 😀
    Der Bologna-Beitrag im April hat mich auch veranlasst mein eigenes Studium und meine Erfahrungen mit Bologna zu reflektieren. Ich werde meinen Artikel demnächst mal in meinen „Masterarbeits-Blog“ kopieren und bei Bedarf hier verlinken. 😉

  3. Hallo Miriam,
    danke für die Ergänzung aus studentischer Sicht! Genau diesen Dialog brauchen wir. Nur noch ein Hinweis: Wissenschaft heißt mitnichten nur „Theorie“ oder abstraktes Geankengut. Es ist eher eine besondere Art der Herangehensweise an Probleme und das können auch genuin praktische sein. Oder anders formuliert: Was mich ratlos macht, ist nicht die Frage, wie wir den Studierendne beibringen können, über den Tellerrand und entsprechend auch auf praktische Herausforderungen zu schauen (und das in die Lehre zu integrieren), sondern wie wir so etwas wie eine berufliche AUSbildung hinbekommen sollen und ob wir das überhaupt sollten und damit nicht genau den falschen Weg einschlagen.
    Gabi

  4. Liebe Gabi,
    ein spannender Beitrag! Ich glaube das Dilemma ergibt sich tatsächlich aus zu vielen falschen Erwartungen, die die Leute an ein (geisteswissenschaftliches) Studium stellen. Vor dem Studium habe ich eine Ausbildung (ganz klassisch im dualen System) absolviert und glaube deshalb zu wissen, was unter „Berufsvorbereitung“ verstanden wird. Überzeugt hat es mich nicht. Natürlich habe ich dort Fertigkeiten gelernt, die ich bei einer Fortführung des Berufs gebraucht hätte, trotzdem habe ich deshalb nicht das Rüstzeug für den beruflichen Alltag in all seinen Facetten mitbekommen. Das Studium hingegen hat mir erst einmal aufgezeigt, wo mein Stärken und Schwächen liegen und worüber man überhaupt alles nachdenken kann und sollte. Insofern war und ist die Zeit an der Uni vielleicht keine Berufsbildung per se, aber aus meiner Sicht eine extrem wichtige Schule für die Zeit danach. Selbst Mediziner, deren Studium ja wohl in Teilen praxisnäher ist (oder sein sollte) haben Ängste vor dem Berufseinstieg. Am lebenden Objekt zu arbeiten ist eben einfach immer etwas anderes. Wenn man von der Erwartung wegkommt, am Ende des Studiums einen Katalog von Fertigkeiten und Fähigkeiten zu haben, die man als (digitalen) Anhang an die Bewerbung hängen kann, dann wird man auch die Inhalte mehr zu schätzen wissen. Noch ein Wort zur „Unpopularität“ der Medienpädagogik im Vergleich zur Kommunikationswissenschaft: Durch Gespräche weiß ich, dass es viele Studierende gibt, die die Bemühungen und Inhalte SEHR zu schätzen wissen. 😉
    Viele Grüße,
    Tamara

  5. Hallo Gabi,
    der Unterschied zwischen Ausbildung und Studium ist letztlich so groß, dass man an der Universität nicht gut daran tut, sich zu stark einem anderen Erfolgsmodell (Duales System) angleichen zu wollen. Dafür gibt es schließlich schon die dualen Studiengänge. Außerdem sehe ich noch das Problem geringer Trennschärfe und daraus resultierend fehlende „Alleinstellungsmerkmale“ unterschiedlicher Bildungseinrichtungen. Während man in der Ausbildung fast ausschließlich berufsrelevante Fähigkeiten lernt bzw. der zu erlernende Beruf mit all seinen Schwierigkeiten und Herausforderungen im Zentrum der Lerninhalte (fächerübergreifend!) steht, geht es an der Universität um Selbst-Bildung bzw. um die Entwicklung eines kritischen Geistes. Aus meiner Sicht sind die beiden Ausbildungswege (wenn man es so nennen will) derart unterschiedlich, dass man sie aufgrund der Zielvorstellungen zwar angleichen, aber nicht vereinen kann. Metapher „Ausbildung“ hin oder her…
    Viele Grüße,
    Sandra

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