Gabi Reinmann

Hochschuldidaktik

Konservativ im Web 2.0?

In den letzten beiden Wochen habe ich viel gelernt – nämlich im Austausch mit einigen Mitgliedern unserer „Versuchs-Community“ mit dem vielleicht etwas groß aufgehängten Titel „Wissenschaftler 2.0“. Wie meine ich das bzw. was genau habe ich gelernt?

  • Ich habe erstens gelernt, dass ich auf Polemik im unmittelbaren Dialog empfindlich reagiere: Ich verliere dann offenbar die Freude an der Diskussion. Ich bin schon auch ganz gern mal polemisch – z.B. in Vorträgen, wenn ich niemanden direkt anspreche, quasi als rhetorische Figur. Im Dialog bin ich konservativ – ich versuche, dem anderen Respekt zu zollen, fordere das aber offenbar auch ganz massiv ein.
  • Ich habe zweitens gelernt, dass es schwer ist, zwei Logiken oder Paradigmen, oder wie immer man das bezeichnen will, zusammenzubringen. Also, eigentlich weiß ich das, denn ich habe mir an solchen Dingen schon öfter die Zähne ausgebissen, aber nun habe ich ein Beispiel mehr: Der Versuch, überhaupt die Idee zu verbreiten, Vorteile eines klassischen Peer-Reviews mit Vorteilen neuer Formen des digital unterstützen Wissensaustausches zu verknüpfen, gelingt zumindest nicht auf Anhieb.
  • Ich habe drittens gelernt, dass die verschiedenen Wege, etwas Neues anzustoßen, auf unterschiedliche Gegenliebe und Interpretationen stoßen: Vom Primat des Tuns über das Nachdenken (im Sinne von Theorien Aufstellen) über die Vorrangstellung des Nachdenkens vor dem Tun bis zum Versuch, beides parallel oder zumindest in sehr kurzen Zyklen zu betreiben. Da gibt es persönliche Vorlieben und Überzeugungen (ich neue zu letzterem).
  • Ich habe viertens gelernt, dass sich schnell Gemeinschaften – ich hätte jetzt fast gesagt „zusammenrotten“, aber vielleicht sage ich besser: zusammentun, ohne dass an sich klar ist, welchen Beitrag man da als Einzelner leisten könnte. Ich bin unerfahren, was Online-Communities außerhalb der Lehre betrifft, und war der irrigen Annahme, dass man diesen nur beitritt, wenn man einen unmittelbaren Zweck damit verfolgt (z.B. Feedback einholen und geben in Bezug auf Artikel oder Ideenskizzen, wie es die Grundidee oder erste Idee der oben genannten Community ist). Welche Folgen es hat, dass das offenbar anders läuft, weiß ich noch nicht.

Der für meine Arbeit wichtigste Lerneffekt (den ich wohl gemerkt ohne die Community NICHT hätte!)  ist aktuell der, den ich an zweiter Stelle genannt habe: Ich sehe es als große Herausforderung, die Vorteile des bisher praktizierten Peer-Reviews mit den neuen Chancen eines öffentlichen Peer-Reviews unter Nutzung aktueller digitaler Medien und der damit mitschwingenden „2.0-Philosophie“ genauer zu beleuchten, Lösungsideen zu entwickeln und natürlich auch zu erproben. Ich sehe hier auch eine Parallele zur momentanen Assessment-Diskussion, denn in gewisser Weise ist ein Review ja auch ein Assessment, nämlich bisher eines, das stark auf Selektion ausgerichtet ist, während ich mir eines vorstelle, das viel stärker auch einen Lerneffekt hat. Da werde ich nächster Zeit (bald ist Urlaub!) mal intensiver drüber nachdenken. Ich hoffe dann natürlich auch, dass ich das Ergebnis des Nachdenkens in konstruktiver Weise in unsere Wissenschaftler 2.0-Community einfließen lassen kann.

5 Kommentare

  1. Hallo Gabi,
    Deine Haltung ist aus meiner Sicht nicht konservativ, sondern sehr verständlich – wozu gibt es sonst die ganzen Bemühungen um die Netiquette? Diese sollte (finde ich zumindest) auch für Social Communitys gelten.
    Die (Anmelde-)Dynamik in der von Dir angesprochenen mixxt-Community finde ich auch sehr interessant, wobei ich nicht hinterher komme mit dem Lesen und demqualifizierten Kommentieren (und da geht es anscheinend anderen auch so). Außerdem sind die Funktionen bei mixxt durchaus beschränkt: Vernetzung allein erzwingt noch nicht Austausch und Kollaboration. Ich bin daher gespannt, wie sich das Projekt „Wissenschaftler 2.0“ nach einem ersten Hype weiterentwickelt 😉
    Viele Grüße,
    Sandra

  2. Vielleicht hilft es, die Erwartungen klarer zu kommunizieren und ein Profil zu bilden. Ein Weblog wie dieses hier bildet ja auch ein profil aus und zieht dann eben bestimmte Leute an und andere nicht.
    Profil-Casting ist ja quasi die „Zusammenrottung“ neuerer Zeit. Man könnte es auch umschreiben mit „Broadcast or expose your profile and they will come!“.
    Vielleicht transportiert Wissenschaftler 2.0 nicht das Profil, was eigentlich angedacht war? Ich weiß es natürlich nicht und kenne auch nicht die Erwartungen der einzelnen, aber ich denk mal Verdruß ist schnell und kostengünstig erzeugt in Communities wenn jeder darunter etwas anderes versteht.
    Meine Frage wäre eher: Was ist das Profil von „(Bildungs-)Wissenschaftler 2.0“? Was sucht man zu verbessern? Warum? Kann man das vielleicht mit einem Satz sagen?
    Derzeit ist das Profil für mich folgendes:

    Diese Community ist ein Netzwerk von Wissenschaftlern, die (a) einen öffentlichen Austausch, (b) ein für alle Interessierten zugängliches gegenseitiges Feedback und auf diesem Wege (c) einen alternativen Peer Review-Weg suchen, um die kollaborative Wissensgenerierung zu fördern. Diese Form des Peer Reviews soll das klassische Double Blind-Review (das summativ funktioniert) nicht ersetzen, aber ergänzen und den schriftlichen und reflektierten Austausch unter Wissenschaftlern auch im Prozess der Wissensgenerierung (also formativ) unterstützen.
    Umsetzen wollen wir dieses formative Peer Review unter Nutzung von Web 2.0-Anwendungen. Ziel ist es, Arbeitspapiere, erste Ideenskizzen sowie Preprints zu kommentieren und konstruktiv zu kritisieren, eine öffentliche Diskussion anzuregen und damit Texte im Vorfeld von Einreichungen und Publikationen zu verbessern. Selbstverständlich ist es auch möglich, Texte nach ihrer Veröffentlichung zu diskutieren, um die dort enthaltenen Gedanken weiterzuentwickeln.
    Zunächst beschränkt sich dieses Netzwerk auf die Bereiche Bildung (inklusive Information, Wissen, Lehren und Lernen) und Medien. Sollten viele Wissenschaftler anderer Disziplinen an der Partizipation interessiert sein, kann das Netzwerk auch ausgeweitet werden.

    Also ziemlich lang und mit viel Interpretationsraum versehen. Geht es irgendwie kürzer?

  3. Helge, widerspricht sich das nicht? 😉 Kürzer, aber mit weniger Interpretationsspielraum? Ist das nicht die berühmte Quadratur des Kreises? Nein, also ich glaube, genau DAS geht nicht. Was natürlich geht ist, das Ziel klarer zu formulieren, was aber auch erst dann möglich ist, wenn man es klar vor Augen hat. Genau das aber widerspricht wieder der Notwendigkeit, hier eher „experimentell“ heranzugehen. ICH persönlich wünsche mir, die „guten Seiten“ eines strengen wissenschaftlichen Vorgehens wie dem Peer-Review mit höheren Lernchancen und wengiger „Mystik“ (z.B. ohne „blind“ beim Double-blind review“) zu verbinden, ohne dass ich schon sagen könnte, wie das genau aussehen kann. Aber vielleicht haben ja andere andere Ideen und Vorschläge und die würde ich ja auch gerne hören.
    Gabi

  4. Hallo
    Ich denke auch, dass es bei Online-Communities erst mal ums passive Mitmachen geht, ich melde mich mal an und schaue, was da so passiert. Nicht umsonst spricht man in Diskussionsforen von ca. 2 aktiven pro 100 Teilnehmenden.
    Aber bei dieser speziellen Community fällt mir auf: war ich am Anfang noch hoch motiviert, etws beizusteuern, hat mich die Dynamik der Diskussion überfordert, ich fühlte mich ständig in Zugzwang, etwas zu schreiben und somit gehemmt.
    Diese Hemmung wurde noch verstärkt durch die Art und Weise des Diskutierens, denn zwischenzeitlich neigte ich schon wieder dazu, mich abzumelden, auf dem Niveau sehe ich auch keinen Sinn. Was bleibt nun? Bei mir zumindest erstmal Ernüchterung.
    Mal schauen, wie es sich weiter entwickelt.
    Liebe Grüsse (und einen schönen Urlaub)
    Mandy

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