Viele Online-Magazine, u. a. Spiegel Online – machen derzeit auf einen Beitrag in der New York Times aufmerksam, in dem beschrieben wird, dass und warum viele Schulen Notebook-Programmen seit kurzem den Rücken weisen.
WDR 5 will dem Thema zwischen 16.00 und 17.00 Uhr heute etwas Sendezeit widmen und ich habe mich zu einem kurzen Interview bereit erklärt. Da aber gerade in Bayern wohl die wenigsten WDR hören, an der Stelle eine kurze Darstellung, was mir zu diesem Thema am Herzen liegt bzw. wie ich die aktuelle Diskussion einschätze.
1. Neue Erkenntnisse aus den USA?
Am 4. Mai berichtet die New York Times, dass immer mehr amerikanische Schulen aus Notebook-Programmen aussteigen. Die Gründe in aller Kürze: zu teuer, keine Leistungssteigerungen in Standardtests und Missbrauch durch Schüler. Ein genauerer Blick in die Argumente verweist allerdings auf Erfahrungen und empirische Befunde, die im Prinzip seit langem bekannt sind und in allen seriösen Studien, auch in deutschen, immer wieder – mit kleineren Abweichungen – bestätigt werden, nämlich:
- Erstens: Notebook-Unterricht führt nicht primär zu besseren fachlichen Leistungen; dies ist nur unter speziellen Bedingungen der Fall. Notebook-Unterricht steigert aber sehr wohl überfachliche Kompetenzen, die jedoch mit standardisierten Leistungstests nicht erfasst werden.
- Zweitens: Notebooks im Unterricht können ablenken und missbraucht werden. Das tritt aber nicht zwangsläufig, sondern vor allem dann ein, wenn Notebook-Unterricht unprofessionell und einseitig ist, wenn Lehrer unerfahren und ungeübt sind.
- Drittens: Notebooks in der Schule bedürfen eines durchdachten Finanzierungs- und Betriebskonzepts. Liegt ein solches nicht vor, treten Überforderungen im technischen Bereich ebenso wie im Bereich der Kosten auf.
Fazit: Was wir über die New York Times vor einigen Tagen erfahren haben, sind mitnichten neue, überraschende Erkenntnisse. Von daher sollte man die Aufregung aus dem Thema nehmen. Es gibt keinen Anlass, den Bericht als Aufhänger für unüberlegte Entscheidungen welcher Art auch immer heranzuziehen, weil die berichteten Erfahrungen auch bei uns bekannt und die Grundlage dafür sind, sinnvolle Notebook-Konzepte fortzuführen und weitere auf den Weg zu bringen.
2. Notebooks als Allheilmittel für den Unterricht?
Wer hofft, mit einer neuen Technologie revolutionäre Änderungen in Schulen bewirken zu können, hat weder menschliches Lernen noch das Funktionieren von Schule verstanden. Medien-Initiativen, auch Notebook-Initiativen, die von solchen Prämissen ausgehen, sind von Anfang an zum Scheitern verurteilt. Mobile Technologien wie Notebooks bringen zwar deutliche Bildungspotenziale mit sich: Schneller und leichter Zugang zu Inhalten, flexibler Einsatz einfacher Lernsoftware bis hin zu komplexen Simulationen und Planspielen sowie neue Kommunikations- und Kooperationswege.
Das sind jedoch wohlgemerkt Potenziale und keine Merkmale neuer Technologien an sich: Wer einseitig am traditionellen Frontalunterricht, an den klassischen Lehrer- und Schülerrollen sowie an Paukzielen festhält, wer also nicht auch den Unterricht mit dem Einsatz von Notebooks ändern will und ändert, muss fast zwangsläufig enttäuscht werden. Das ist etwa so, als würden Sie darauf hoffen, die Vorzüge Ihres neuen BMW in der Tempo 30-Zone zu erleben.
Fazit: Die New York Times berichtet, dass Schüler Sicherheitsvorkehrungen der Schulnetze knacken und ihren Kameraden hierzu auch noch Schritt-für-Schritt-Instruktionen zum Nachmachen online stellen. Ich meine, das zeugt vor allem davon, dass die Schüler keine Herausforderungen im Unterricht bekommen, dass man sie mit Aufgaben für die Schublade abspeist, dass sich ihre Lebenswelt längst von der Welt der Schule abgekoppelt hat. Wir müssen Schülern einen anspruchsvollen Unterricht bieten, in denen Notebooks auch sinnvoll zum Einsatz kommen können. Wenn Notebooks eine pädagogische Funktion erfüllen sollen, muss sich natürlich auch der Unterricht ändern – und zwar erheblich!
3. Und die Rolle der Lehrer?
Dass Lehrer nach wie vor die Schlüsselrolle bei allen Aktionen spielen, die darauf abzielen, Schule und Unterricht zu verbessern, das scheint man immer wieder zu vergessen – obschon es doch auf der Hand liegt. An sich sollten wir gescheiterten Notebook-Initiativen dankbar sein, machen Sie doch wie ein Brennglas deutlich, wo es – auch bei uns – ganz erheblich hapert: Nämlich an einer fundierten pädagogisch-didaktischen Ausbildung unserer Lehrer. Nur Lehrer, die selbst medienkompetent sind, die wissen, wo die Chancen und Risiken digitaler und mobiler Technologien liegen, die diese Werkzeuge selbst nutzen und mit ihnen so umgehen können, dass sie nicht an technischen Hürden scheitern, werden auch einen brauchbaren Notebook-Unterricht machen können. Solche Inhalte aber werden Sie in den meisten Curricula für Lehramtstudierende vergebens suchen. Noch schlimmer: Auch die pädagogisch-didaktischen Anteile sind im Studium so gering, dass es schon an Leichtsinn grenzt, wie wir unsere Lehrer für den Schuldienst ausstatten. Fazit: Wenn mit der vorübergehenden Aufgabe von Notebook-Initiativen eine große Ausbildungsinitiative für unsere Lehrer verknüpft wäre, würde auch ich mich diesem Vorstoß anschließen, obschon ich von den Bildungspotenzialen digitaler Technologien überzeugt bin.
Fazit: Wir müssen zu allererst in Kompetenzen der Lehrer investieren, aber in die müssen wir investieren. Diskussionen wie die über angebliche und faktische Schwächen von Notebooks im Unterricht werden leider gerne missbraucht, um von eigentlichen Missständen in unserem Bildungssystem abzulenken und die redlichen Bemühungen einer ganze Reihe von Institutionen und Personen in Misskredit zu bringen.
10. Mai 2007 um 16:55
Martin Eber aus Graz schreibt dazu (Zitat):
hallo,
ich möchte mich bedanken für deine guten formulierungen 🙂
es ist so, man glaubt immer die bloße zur verfügung stellung von technischen hilfsmitteln führt zu einer revolution …
ich möchte auch noch eines ergänzen: für mich fehlt auch noch, dass die infrastruktur ebenfalls bei weitem noch nicht perfekt ist .. was meine ich damit? z.B. muss wlan verbindungen vom lehrer ständig ein- und ausschaltbar sein oder projektionsflächen nicht mühselig auf- und abgefahren ..
ich denke, dass notebooks erst dann gut eingesetzt sind, wenn man es eigentlich gar nicht mehr merkt (sie sind einfach vorhanden wie der bleistift)
schöne grüße aus graz
13. Mai 2007 um 09:57
Liebe Gabi Reinmann,
ich halte Deine Argumentation für schlüssig aber dennoch bleibt bei mir ein Magengrummeln zurück. Ich glaube das liegt an folgendem: Seit nun geschätzten 30 Jahren wird von den unterschiedlichsten E-Learning Experten die Revolution des Lernens ausgerufen. Computer, Multimedia, Internet, E-Learning, Blended Learning, web2.0, ein Trend jagd den nächsten. Und die Rollenverteilung zwischen E-Learning-Experten und Lehrenden ist auch immer klar: E-Learning Experten stehen für Innovation, die Lehrenden sind die, die dazulernen müssen. Ich glaube, an diesem Verhältnis stimmt grundsätzlich etwas nicht. Und das, was dort jetzt in der New York Times zu lesen ist, ist nur ein Symptom für das Scheitern einer Beziehung: Die Beziehung E-Learning Experte/Lehrender.
Dies ist keine wissenschaftliche Abhandlung, deshalb kann ich hier nur etwas pauschal argumentieren. Aus meiner Sicht (als ehemaliger Lehrer) könnte die Qualität von Lehren und Lernen in Zukunft verbessert werden, wenn die sogenannten E-Learning-Experten mit mehr Bescheidenheit auf die Lehrenden zugehen würden. Und vor allem, wenn sie lernen würden, besser hinzuhören.
Denn es ist doch keinesfalls so, dass sich Lehrer und Lehrende prinzipiell Innovationen verschließen. Ganz im Gegenteil. Es ist vielmehr so, dass die Lehrenden das Innovationspotenzial meisst in völlig anderen Bereichen sehen als der E-Learning-Experte, der durch seine technologisch geprägte Brille oft wesentliche Merkmale des Lernprozesses übersieht.
Die wichtigsten Schlagworte emanzipatorischer Pädagogik werden pflichtgemäß und umfangreich zitiert, aber was z.B. Lernerzentrierung, Handlungsorientierung, Gruppenarbeit, Projektarbeit, Binnendifferenzierung vernetztes Lernen usw. in der pädagogischen Umsetzung dann tatsächlich bedeuten, davon haben diese E-Learning Experten häufig überhaupt keine konkrete Vorstellung, weil ihnen meist die Erfahrung fehlt. Lernen findet eben nicht nur am Monitor statt sondern nachwievor in der realen Welt, die heute (auch!) digital vernetzt ist.
Mit besten Grüßen aus Berlin
Wolfgang Neuhaus
13. Mai 2007 um 10:06
Hallo Wolfgang,
„Und das, was dort jetzt in der New York Times zu lesen ist, ist nur ein Symptom für das Scheitern einer Beziehung: Die Beziehung E-Learning Experte/Lehrender.“ JA – das sehe ich ganz genauso!! Das ist in der Tat in wichtiger Punkt, der in dem obigen Statement fehlt, der aber extrem wichtig ist. Es stellt sich auch die frage, werd der E-Learning-Experte ist! Ein Informatiker? Ein Pädagoge? Ein Psychologe?
Übrigens: Auch mein Statement ist keine wissenschaftliche Abhandlung; mein Blog beinhaltet (hoffentlich begründete) Meinungen und es bedürfte schon etwas mehr Aufwnd, daraus z. B. einen wissenschaftlichen Beitrag zu machen. Aber auch wissenschaftliche Argumente gibt es aus meiner Sicht zuhauf, die man dagegen ins Feld führen könnte, nach solchen Meldungen voreilige Schlüsse zu ziehen, womit ich NICHT meine, dass man KEINE Schlüsse zieht.
In die Pflicht nehmen muss man auch die Forschung: Hier habe ich ebenfalls einige Kritikpunkte: Wir brauchen einer stärker nutzenorientierte Forschung in angewandten Fächern wie Pädagogik und Pädagogische Psychologie.
Gabi
14. Mai 2007 um 11:32
Hallo Gabi,
ich stimme in deiner Forderung überein, dass wir mehr nutzenorientierte Forschung brauchen. Allerdings denke ich, dass genau dieses Feld, das wir hier diskutieren ein Paradebeispiel dafür ist, dass nicht mehr nur in einzelnen Domänen geforscht werden kann und danach versucht wird, die Ergebnisse in die Praxis zu überführen und dort umzusetzen. Das kritisiert Wolfgang ja auch sehr zu Recht.
Hier ist vielmehr genau die Forschung angebracht, die schon so lang gefordert wird: fachübergreifend, interdisziplinär und am besten gleichberechtigt mit Experten aus der Praxis (also „stinknormalen“ Lehrern), also transdisziplinär. Dieser Punkt fehlt mir bei dir noch.
Du wirfst die Frage ja auf, wer der E-Learning-Experte sein soll. Danach bringst du einige Disziplinen. Ich glaube hier können dauerhafte und nützliche Lösungen nur gemeinsam aus einer Verschneidung vieler Perspektiven gefunden werden. Die Fundierungen müssen aus den Einzeldisziplinen kommen, aber das Zusammendenken kann die einzelne Disziplin nicht leisten.
Schönen Gruß
Sami Mußbach
14. Mai 2007 um 19:45
Liebe Gabi Reinmann,
vielen Dank für den sehr guten Beitrag. Ich bin Lehrer an einem grossen Gymnasium in der Schweiz und leite die Projektgruppe Elearning. Seit langer Zeit setze ich Computer und Internet in meinem Unterricht ein mit immer wieder neuen Ideen. An unserer Schule, wir haben ca. 200 Lehrpersonen, leite ich seit einiger Zeit auch Weiterbildungen im ICT-Bereich, Teilnehmerzahl immer unter 10! Beim letzten WIKI-Kurs waren wir sechs Personen. Ich biete auch Kurse für Lehrpersonen an der Fachhochschule an, die Kurse haben bisher nicht stattgefunden, weil sich zu wenig Teilnehmer angemeldet haben, der letzte Kurs hatte gar keine Anmeldungen.
Mein Fazit: Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen sind gar nicht bereit, sich im Bereich ICT weiterzubilden. Ich höre immer wieder Ausreden. Solche Berichte, wie sie jetzt die New York Times veröffentlicht hat, sind natürlich Wasser auf die Mühlen solcher Lehrkräfte. Ich frage mich, wie lange es gehen wird, bis ich im Kollegium darauf angesprochen werde. Dann wird die Teilnehmerzahl an den Kursen noch mehr zurückgehen.
Wenn ich mir vorstelle, dass unsere Schüler alle mit einem Laptop anrücken, dann wird genau das passieren, was in der New York Times beschrieben ist. Die Schüler werden irgendetwas mit den Computern tun, denn die meisten Lehrpersonen haben gar keine Verwendung für diese Geräte. Die Schüler tun eigentlich das einzig richtige, sie verwenden die Geräte, und wenn wir nicht in der Lage sind, ihnen einen vernünftigen Anlass zu bieten, diese Geräte im Sinne ihrer Ausbildung zu verwenden, dann zeigt das klar die Schwäche der Lehrpersonen.
Bei mir steht permanent ein Tabletz PC auf dem Pult, meine Notizen mache ich alle darauf, über den Beamer visualisiere ich, wenn immer möglich; ich zeige den Schülern zudem, wie ich mit diesem Computer arbeite. Die verwendeten Folien und Arbeitsblätter kopiere ich meistens noch während den Lektionen auf eine Lernplattform. Viele Schüler reagieren zu Beginn irritiert. Mit der Zeit aber werden sie doch sehr neugierig und lernen insbesondere die Verfügbarkeit des Lernmaterials sehr schätzen.
Ab Freitag finden hier die Solothurner Literaturtage statt. Schülerinnen einer meiner Klassen werden Autorenlesungen besuchen, darüber dann Reportagen schreiben und diese in ein WIKI stellen. Ich bin gespannt darauf, wie motiviert sie arbeiten werden.
Herzliche Grüsse aus Solothurn
Kurt Jakob
18. Juni 2007 um 19:04
liebe gabi reinmann,
als 2004 ulf-daniel ehlers seine dissertation „qualität im e-learning aus lernersicht. …“ präsentierte, war ich doch tatsächlich ein wenig zuversichtlich, dass die entwicklungen im elearning nun endlich auch den bereich der nutzer-erfordernisse angemessen berücksichtigen würden.
nun sind ein paar monate und entwicklungen ins land gegangen und meine zuversicht verflogen.
es ist nicht nur „der E-Learning-Experte, der durch seine technologisch geprägte Brille …“ nicht auf die bedürfnisse der lerner eingehen kann, sondern auch die arrogante haltung der ‚entwickler‘, besser zu wissen, was den lerner in der konkreten situation unterstützt.
das war zwar selten anders, aber jetzt kommt noch ein paradigmen-wechsel in der technologie-welt hinzu:
– es wurde erkannt, dass die erstellung guter inhalte teuer, aufwendig und mit dem werkzeugkasten der informatik nur schwer greifbar ist
– neue (alte) technologien hypen und wollen den mund wässrig machen auf lernen 2.0
– im fokus stehen plattformen (distributions-funktion), kommunikation++, schnittstellen, vernetzung und als allheilmittel um der desolaten lage zu entkommen: user-generated-content
die suche nach studien, die ohne technologische voreingenommenheit die konkrete lernsituation des lernenden betrachtet und konzepte entwickelt, die dem lerner im realisieren und verbalisieren seiner eigentlichen unterstützungs-bedürfnisse helfen, gestaltet sich bisweilen sehr schwierig.
mit der legitimation ‚jene wissen eh nicht, was sie brauchen‘, lässt es sich nur all zu leicht hinter dem deckmantel der pädagogischen verantwortung verstecken und mit der nötigen ambiguitätstoleranz trotzdem auf user-generated-content hoffen!
so ist die frage nach dem ‚elearning-expertentum‘ auch eine nach der lösung von problemen, die es ohne nicht gegeben hätte.
bevor diese gedanken aber anerkennung finden, werden noch viele ‚versuche‘ als forschung deklariert werden – sei den lernenden damit geholfen.
um auf das ursprüngliche thema zurück zu kommen – vielleicht sollte die rückbesinnung auf ‚tafel und kreide‘ auch unter dem aspekt der ressourcenschonung betrachtet werden … ‚in der Tempo 30-Zone‘ tut’s auch das fahrrad 😉
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