In seinem Text „Microlearning as a challenge for instructional design“ (abzurufen hier) stellt sich Michael Kerres die Frage, welche Rolle Instructional Design (ID)-Modelle eigentlich beim Microlearning (also in Lernphasen von eher kurzer Dauer, z. B. 5 bis 15 Minuten) spielen, spielen dürfen oder vielleicht spielen sollen.
Nur am Rande bemerkt: Ich habe ja im Laufe der letzten Jahre trotz meiner – würde ich sagen – konstruktivistischen Grundhaltung inzwischen eine etwas bessere Meinung vom Thema ID – und zwar auf der Grundlage meiner eigenen Lehrpraxis. Dabei muss man allerdings auch anmerken, dass man im englisch-sprachigen Raum keineswegs nur behavioristische und kognitivistische Auffassungen und Prinzipien mit ID verbindet. Eher ist es zunächst einmal „nur“ so, dass man die Verantwortung des Lehrenden ernst nimmt und versucht, ihm bei seinen Planungsprozessen zu helfen.
Und dass Planung immer nötig ist, räumt auch Michael Kerres ins einem Text ein. Er formuliert es allerdings so: „Instruction can not be planned, instruction can only be prepared“. Ich weiß nicht so recht, ob das nicht ein konstruierter Unterschied ist. Ist es nicht eher die Haltung, auf die es ankommt, wenn ich etwas plane oder von mir aus vorbereite? Ich würde sagen, als „echter Kognitivist“ (falls es so etwas gibt) hoffe ich letztlich auf Gesetzmäßigkeiten, während ich bei einer eher konstruktivistischen Grundauffassung immer damit rechne werde, dass es auch anders kommen kann als von mir geplant und/oder intendiert. Das wäre der eine Unterschied. Die andere wichtige Unterscheidung (zwischen einer kognitivistischen und einer konstruktivistischen Haltung) sehe ich darin, wie wichtig mir als Lehrender die Lernenden sind: Wie ernst nehme ich sie? Respektiere ich sie? Ich meine sehr wohl, dass Respekt vor den Lernenden auch mit instruktionalen Phasen, mit Vorgaben etc. vereinbar ist. Ich glaube nicht (mehr) an den alleinigen Segen der Selbstorganisation (und daran dass „The learners themselves are gaining competencies to construct their personal environments …“ via microlearning) – jedenfalls nicht wenn ich an das Gros der Studierenden an unseren Hochschulen heute denke. Ich meine, das muss zwar das Ziel sein (da stimme ich Michael Kerres zu), und deswegen sollten wir, soweit es geht, als Lehrenden darauf hin arbeiten. Aber das geht nur allmählich – jedenfalls so lange die Schule hier keine Vorarbeit leistet.
Natürlich gibt es immer wieder Ausnahmen – junge Menschen, die sehr wohl zur Selbstorganisation in der Lage sind und von sehr offenen Lernumgebungen profitieren, deren „user generated content“ brauchbar ist etc.; aber sind das wirklich mehr als vielleicht zwei bis fünf Projekt eines neuen Jahrgangs? Und was machen die anderen? Diejenigen, denen man vielleicht ein paar Semester lang auf die Sprünge helfen muss? Dass „a certain level of education can only be reached by the learner her-/himself“ ist natürlich wahr, aber bis dahin muss man ja erst mal kommen. Einverstanden bin ich mit der Folgerung zur Frage des Bezugs zwischen Web 2.0 und ID, nämlich: „It does not imply a completely new approach but should integrate the various views to instructional design developed in different theoretical traditions“. Die spannende Frage ist nur, wie diese Integration konkret aussehen kann. Aber das wird dann halt wohl die Aufgabe für die nächsten Jahre sein – sonst hätten wir ja alle nichts zu tun.
Fazit: Ich plädiere für ein „aufgeklärtes Instructional Design“, für Heuristiken zur Planung, bei denen man sich als Anwender bewusst ist, dass sie nicht zwingend zu Erfolgen führen, das ihre Wirkung (keine neue Erkenntnis) vom Gegenstand und der Zielgruppe abhängt. Ich bin jedoch überzeugt davon, dass wir uns keinen Gefallen tun, wenn wir (wieder mal) glauben, im Reich des Web 2.0 käme es nur darauf an, die Lernende in ihre Freiheit zu entlassen – damit macht man sich auch ein bisschen zu einfach.
3. August 2007 um 16:55
Grundsätzlich stimme ich deiner Einschätzung zu. Bezogen auf den Alltag von (Hochschul-) Lehrenden frage ich mich, inwiefern sich Unterrichtsplanung und Instructional Design eigentlich unterscheiden. Immerhin bezieht sich Michael Kerres ja auch auf den „Klassiker“ von Heimann, Otto und Schulz. Eigentlich habe ich noch nichts Besseres gefunden, aber wird es – wenn es sich um den Einbezug digitaler Medien handelt – gleich zum Instructional Design? Welche(r) Hochschullehrende(r) mutiert eigentlich gleich zum Instructional Designer, nur weil sie/er eine Lehrveranstaltung vorbereitet? Insofern scheinen mir auch die 15 Richtlinien für Web 2.0 Lernumgebungen ein wenig am (Hochschul-)Lehralltag vorbeizugehen. Warum das so ist und was es doch helfen würde, die von Michael Kerres skizzierte Richtung einzuschlagen, würde ich gern systematischer durchdenken; mal sehen, das nächste Heft der zeitschrift für e-learning soll ja Kompetenzentwicklung thematisieren …
Gruß, Joachim
3. August 2007 um 17:21
Ich finde prinzipiell den Design-Begriff gar nicht so schlecht, auch wenn ihm – ich gebe es zu – jedenfalls in deutschen Ohren ein bisschen Marketing-Effekt anhaftet. Aber die dahinter stehende Idee, dass man ein Angebot „gestaltet“, also sehr wohl plant, Anleitungen gibt, Inhalte aufbereitet, sich Aufgaben überlegt, wie man mit den Inhalten am besten umgehen sollte bzw. wie man sich mit ihnen intensiv auseinanderstezen kann etc., das ist halt viel besser vereinbar mit einem konstruktivistischen Verständnis als wenn man von „Unterrichten“ spricht. Und mal ehrlich: Deutsche Didaktik-Modelle sind schon meist ein wenig schwach auf der Brust, wenn es um die simple Frage eines Lehrenden geht, die da lautet: „Und wie mach ich es jetzt?“ Wenn es um Fragen der Methodik geht, sind ausnahmsweise die Modelle, die aus dem englischpsrachigen Raum kommen, schon fortschrittlicher und haben uns durchaus weiter gebracht in didaktischen Überlegungen. Gleichzeitig darf man natürlich auch die Bedeutung der Inhalte und Ziele nicht vergessen, und von daher ist der Blick (zurück) auf die deutsche Didaktik durchaus auch ein begrüßenswerter Trend. Es ist ja auch gar nicht einzusehen, warum sich diese beide Dinge ausschließen sollten: eine auf Normen verzichtende, allein auf Lernprozesse konzentrierte Didaktik halte ich für die Praxis für ebenso unbrauchbar wie eine, die vor allem Fragen des Curriculums thematisiert und die „Niederungen des Bildungsalltags“ außen vor lässt.
Gabi
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