Gabi Reinmann

Hochschuldidaktik

Betriebswirtschaftslehre bei Tchibo

Inzwischen sind die Vorträge der Campus Innovation 2009 (ich habe hier davon berichtet) online. Da ich einen halben Tag der Veranstaltung leider verpasst habe, bieten die Aufzeichnungen nun eine schöne Möglichkeiten, z.B. Rolf Schulmeisters Vortrag doch noch (hier) zuhören. Sein Beitrag bietet wohl eine ganze Menge an Diskussionsstoff, auf den ich hier nicht in der möglichen Vielfalt eingehen kann.

Was mir aber besonders im Kopf hängen geblieben ist, ist der Hinweis auf die „Akademisierung der Berufsausbildung“. Das ist quasi das Pendant zu meinen Überlegungen, dass und warum das Universitätsstudium zunehmend als Berufsqualifizierung verkauft wird (siehe z.B. hier). Es ist eine Frage der Perspektive und inzwischen glaube ich, dass beides zutrifft: die Berufsausbildung wird auf vielen Gebieten akademischer und das Universitätsstudium berufspraktischer. Ja, warum nicht?, könnte man da sagen. Sind dann nicht alle zufriedener? Ist es nicht das, was wir alle wollten? Raus sowohl aus dem Elfenbeinturm als auch aus der Werkhalle und rein in die Wissensarbeit? Gemeinsame Sache zwischen Wirtschaft und Wissenschaft? Ist das nicht die Zukunft? Theoretisch kann man wohl durchaus einige Vorteile in solchen Vermengungstendenzen sehen. Ganz praktisch aber ergeben sich sehr viele Probleme, denn den Lehrenden fehlen Anschauung und Kompetenzen, um solche Versprechen wirklich einzulösen.

Vorrangig jedoch bleibt für mich die grundsätzliche Frage, wo man – wenn nicht an einer Universität – noch lernen kann und darf, klar zu denken, kritisch zu hinterfragen, systematisch zu handeln, mit anderen zusammen Dingen auf den Grund zu gehen, die im operativen Geschäft der Berufswelt nicht mehr thematisiert werden, zu lernen, über den eigenen Gartenzaun zu schauen, sich selbst und die eigenen Potenziale kennenzulernen etc. Freilich, all dies ist mit einer Auffassung von „Unis als Dienstleister“, wie Rolf Schulmeister formuliert, nicht gut vereinbar – oder doch? Wäre es nicht eine Dienstleistung an unsere Gesellschaft und unser demokratisches System? Vielleicht schrecken ja Rolfs Beispiele von der „Betriebswirtschaftslehre bei Tchibo im Sonderangebot“ doch einige ab, an das Heil dieser neuen Verbünde zwischen Wissenschaft/Universität und Wirtschaft/Konzernen zu glauben. Vielleicht aber ist der Zug hier schon abgefahren und nur mehr mit geballtem Widerstand aufzuhalten.

8 Kommentare

  1. Liebe Gabi
    Gerade gestern hab ich diesen Beitrag gelesen, und ich finde, er passt noch zu deinem Post:
    http://www.nzz.ch/nachrichten/kultur/literatur_und_kunst/wissenschaft_und_wissenschaftsmuendigkeit_1.4074592.html

  2. Danke für den interessanten Link! Das ist noch einmal eine sehr schöne pointierte Darstellung der Kontroverse über die „eigentlichen“ Aufgaben der Universität!
    Gabi

  3. Vielleicht ist die Einstellung inzwischen veraltet, antiquiert oder nicht mehr zeitgemäß. Heute will niemand mehr Zeit zum denken haben, sondern um Karriere zu machen.
    Aber so lange ein Uni Prof gerade mal so viel Geld kriegt, wie ein Ingenieur in der Wirtschaft, braucht man an Unis auch keine Zeit zum denken und über dies kann man jetzt lange Zeit nachdenken…
    Gruss aus dem Norden
    Andreas

  4. Liebe Gabi,
    am Ende deines Beitrags fragst du: „Oder ist der Zug hier schon abgefahren?“. Ja der Zug ist abgefahren und zwar der Zug, der noch sauber trennte zwischen „Wissenschaft“ auf der einen und wirtschaftlichen Interessen in Form von Unternehmen oder unternehmensnahen Verbänden auf der anderen Seite. Zur Beruhigung: eine wirkliche Trennung hat es nie gegeben, nur gab es sowas wie ein „Sinnkern“ von Wissenschaft, eine gelebte Tradition der Abgrenzung gegenüber allen übergreifenden Interessen. Genau dieser Sinnkern wurde mit der „Öffnung der Universität“, eingeleitet durch Bologna, Präsidialführung und auch Wissensmanagement (dahinter stecken Vernetzungsstrategien, die Öffnung notwendig machen) wenn nicht zerstört, aber doch aufgeweicht.
    Diese orientierende Mitte, dieser fraglose Satz an Identitätsmerkmalen, „was Wissenschaft ausmacht“ und zusammenhält, steht auf dem Spiel. Ein solcher Kern ist aber notwendig, damit eine Öffnung der Universität mit neuen Kooperationsformen, bedarfsorientierten Angeboten etc. nicht in einem Ausverkauf oder einer Erosion der Idee von Wissenschaft endet. Wer den Grenzverkehr organisiert, muss wissen, wann er die Schleusen gegenüber wem, warum öffnet und … wieder schließt. Genau das heißt Management! Zwei Beispiele zeigen den Teufelstanz „auf der Grenze“ sehr schön: Es gibt die Jacobs Universität in Bremen. Dahinter steckt ein Sponsor aus der Wirtschaft, der seinen Namen der Universität gegeben hat. Dieser Akt der Eitelkeit greift nicht in die Autonomie einer Hochschule ein – zumindest sieht es von außen so aus. Im Beispiel von Rolf Schulmeister (NBS/ Ahnengalerie) wird eine neue Qualität der Konvergenz deutlich: Da kommt es zu einer Verschiebung der Architektur bei den Bildungsanbietern mit geschickter Arbeitsteilung: Wenn eine von wirtschaftlicher Seite gegründete „Bildungseinrichtung“ die Interessen von Unternehmen im Blick hat und genau diese Einrichtung den Formalakt der wissenschaftlichen Prüfung an eine wissenschaftlich legitimierte Hochschule „auslagert“ (Kooperation), dann nenne ich das geschickte Arbeitsteilung oder: Augenauswischerei. In dieser neuen Architektur verwischen SYSTEMATISCH die Grenzen, die für die Aufrechterhaltung von KULTURELLEN Sphären notwendig sind. Man muss heute, glaube ich, mehr denn je Gedanken darüber zu machen, was der Kern von Wissenschaft sein soll (normativ) und b) Menschen finden, die den oben beschriebenen Teufelstanz im Grenzverkehr mit Augenmaß managen können.
    Die Grenze verläuft meines Erachtens nicht beim „Coffee-Management“ oder anderen Exoten, denn das Phänomen Kaffee hat (weltweit) vielfältige Facetten, die mit ethischen, wirtschaftlichen, technischen und ästhetischen Fragestellungen zu beleuchten sind. Warum nicht (auch) Studiengänge um gesellschaftliche Phänomenbereiche organisieren? Da ist die Theorie am Ort des Geschehens und das Geschehen stimuliert die Theorie – wenn es ernsthaft gemacht ist. Aber: wenn Kooperationen „Nothern Business School/Ahnengalerie“ die Wissenschaft als Idee und Institution „funktionalisieren“, dann verschiebt sich die Architektur mit unabsehbaren Folgen. Von der Qualität ist das ähnlich wie bei der „kostenlosen Arbeit“ (Internet http://lecture2go.uni-hamburg.de/veranstaltungen/-/v/10367), wo die sozialen Sicherungssysteme auf dem Spiel stehen oder bei der Erderwärmung, wo es um die leibhafte Existenz geht. Rolf Schulmeister hat es ja gesagt: Die Transformation kommt schleichend …
    Frank

  5. Liebe Gabi,
    dank Deines Artikels hier ist auch bei den BA Bildungswissenschaft der Fernuni Hagen eine rege Diskussion ausgebrochen.
    Recht konträr wurde die Ökonomisierung und auswuchernde Schaffung neuer Studiengänge teils verteidigt, teils beklagt. Einige vertraten die Ansicht, dass Schulmeister elitären Dünkel fördern würde, andere gerade nicht. Gerne möchte ich meinen Beitrag dazu auch hier zur Diskussion stellen, außerdem würde ich mich freuen, wenn auch die Beiträge in meiner Communitiy für Selbstorganisiertes Lernen in die Diskussion mit einfließen und umgekehrt, da ich mich auch dort intensiv mit der Thematik Bildung auseinandersetze.
    Erstmal zu Schulmeister. Meiner Ansicht nach greift er vor allem drei Punkte an:
    1. Privatisierung des Hochschulwesens
    2. Unüberschaubares Sammelsurium an neuen Studiengängen
    3. eLearning nicht als wichtige Kompetenz sondern als Mittel zum Zweck
    Mit dem ersten Punkt wird m.E. schon deutlich, dass es ihm nicht darum geht Bildung elitär zu halten, ganz im Gegenteil. Nicht dass viel mehr (Personen) studieren prangert er an, sondern, das wird unter 2. deutlich, dass mittlerweile übertrieben ausgedrückt aus jedem Job ein Studiengang gemacht wird. Irgendwo im Vortrag sagt er: »Die Industrie schafft sich ihre eigene Universität«, ich finde, das bringt es ganz gut auf den Punkt: Den drohenden Akademikermangel damit zu beseitigen, dass man jeden Beruf verakademisiert kann nicht die Lösung sein – da bin ich seiner Meinung. Eine Öffnung der Universitäten, indem Berufsausbildung und Berufspraxis auch einen Zugangsweg zum Studium darstellen, ja. Damit wird die Praxis als Vorbereitung anerkannt. Aus jedem Beruf einen Studiengang machen, nein, denn damit würde Berufsausbildung dem Studium gleichgesetzt.
    Auch seine Ausführungen zu den Gründen für ein Studium finde ich interessant. Er stellt fest, dass früher ein Großteil der Teilzeitstudieren »ältere« Berufstätige waren, die sich ein Studium eben nur neben dem Beruf leisten konnten. Heute seien es vorwiegend Junge nach dem Motto: »ich verdien ja gut, also studier ich mal nebenbei statt Vollzeit« – wobei ich hier auch denke, dass dies auf Studierende von Privatuniversitäten eher zutrifft als auf uns »Hagener«.
    Meine persönliche Einstellung ist, dass ein Studium, wenn man es wirklich in all seinen Möglichkeiten nutzen möchte, nicht mal »einfach so nebenbei« betrieben werden kann. Das bestätigen auch die vielen Teilzeitstudenten, die mit der Zeit feststellen, dass dann eher der Beruf als notwendiges Übel nebenher läuft und nicht das Studium. Deshalb fände ich es so wichtig und weitsichtig, dass Bildungspolitik jedem ein Vollzeitstudium ermöglichen sollte durch entsprechende Förderung und Unterstützung – ohne die idiotische und kurzsichtige Altersbarriere (egal ob nun 30 oder 35). Hierzu habe ich in meiner Community für selbstorganisiertes Lernen (http://www.sieseco.com/comun) schon einiges geschrieben.
    Und zum eLearning: Hier verstehe ich das so, dass nicht das eLearning abgewertet wird, sondern der Grund und die Art wie es eingesetzt wird! Dass nicht die besonderen Kompetenzen und Möglichkeiten von eLearning im Vordergrund stehen und von Interesse sind, sondern nur dessen ökonomische Nebeneffekte. eLearning als Reparaturwerkzeug für fehlende Präsenzzeiten und fehlende Brückenkurse, als Möglichkeit ein Workload von über 40 Wochen in 2×14 Semesterwochen zu bekommen – das prangert er an. Und da hat er recht finde ich.
    Dann wird hier verwiesen auf Pauls Liessmans: Theorie der Unbildung – was m.E. sehr gut zur Thematik passt.
    Bei dem Liessmann-Text fühlte ich mich stark an ein Präsenzseminar dieses Semesters erinnert. Dort lag der Schwerpunkt auf den Begriffen Professionalisierung, Kompetenz und dem Unterschied von Theorie und Praxis. Wir haben im Seminar erarbeitet, dass Theorie und Praxis nie trennscharf von einander abgegrenzt sind und es auch keine Einbanhnstraße von der Theorie zur Praxis gibt. Nicht das eine folgt dem anderen oder ist vorrangig, sondern beide greifen ineinander und beeinflussen sich gegenseitig immer wieder neu. Professionalität bedeutet, die Schnittmenge zwischen Theorie und Praxis zu erkennen und hier beides immer wieder zu reflektieren. Theorie steht dabei für den Wahrheitsanspruch und Praxis für die Angemessenheit. Die Reflexion von beidem macht die Professionalität aus.
    Ich finde, dass dazu die folgenden Aussagen von Liessman perfekt passen:
    Er kritisiert, dass heute Wissen als Produkt ohne Erkenntnisanspruch nur noch nach Verwertungsmöglichkeit bewertet wird
    Er merkt an, Wissen sei nie eindeutig zweckorientiert
    Statt um Erkenntnis gehe es aber heute um Best Practice
    Wenn sich Wissen nur noch an der Praxis orientiert verliert es seinen Wahrheitsanspruch
    Wissen präsentiert als hirngerechte Häppchen (quasi Wissen light ) macht Denken unmöglich J und verliert sein Reflexionspotential
    All diese Punkte heissen für mich irgendwo: Heute geht es um zweckorientiertes Wissen un das ist etwas ganz anderes als Bildung – es ist eine Teilmenge davon über deren Wichtigkeit sicher diskutiert werden kann – aber wenn Bildung durch reines Informationswissen (und das noch möglichst stark spezialisiert – quasi Bildungs-Taylorismus )
    Und damit nehme ich auch zur Frage Wissen/Bildung/Wissensgesellschaft Stellung. Dass ich den Coffee Manager nicht als akademischen Beruf betrachte, wurde glaube ich schon klar. Und Wissen als Sonderangebot bei Tschibo oder nach dem Motto eines heute in Twitter gefundenen Artikels »e-learning-weiterbildung-a-la-Günther Jauch« (http://www.handelsblatt.com/e-learning-weiterbildung-a-la-guenther-jauch;2512617) entspricht auch nicht der Wertigkeit, die ich persönlich meinem Studium und meinen Zielen auch den Master zu machen und zu promovieren gebe. Sicher, Lernen soll Spaß machen – aber es soll auch eine Herausforderung sein, denn sonst macht es (mir) keinen Spaß mehr!
    In dem Punkt trifft die hier geäußerte Unterscheidung zwischen Wissen und Bildung für mich den Nagel auf den Kopf– mir ist jetzt klarer, wieso das ewige Deklarieren von »Deutschland als Wissensgesellschaft« und die Umsetzung der Bildungspolitik in meinen Augen immer wieder so konträr verläuft, überhaupt nicht zusammen passt und nur berufliche Weiterbildung fördern will. Wenn irgendwann noch Bildungspolitik in Wissenspolitik umbenannt wird, dann passt es wieder. Ganz ohne Reformen L
    Liebe Grüße
    Sabine

  6. Liebe Sabine,
    ganz herzlichen Dank für diesen langen und interessanten Beitrag inklusive der Links! Ich denke, dass ist ganz im Sinne von Rolf, wenn sein Vortrag solche Diskussionen auslöst! Ich halte es für wichtig, Entwicklungen zu thematisieren, die uns seltsam vorkommen anstatt danach Ausschau zu halten, wie man sich unkritisch aber erfolgversprechend (bezogen etwa auf Fördergelder) einklinken kann. Letzteres aber passiert aufgrund der Finanznot an den Universitäten immer öfter. Von daher: Vielen Dank für den Diksussionsbeitrag, der etliche Dinge gut auf den Punkt bringt. Dieser Dank gilt natürlich auch dir, Frank, für deinen Kommentar!
    Gabi

  7. „Akademisierung der Berufsausbildung“
    Ein Kommentar aus der „anderen Ecke“: Aus der Sicht der beruflichen Grundbildung erfahre ich das Thema „Akademisierung der Berufsausbildung“ und „Berufsbildisierung der Akademien“ ebenfalls. Einerseits werden damit, was ich begrüsse, fast unvorstellbare Möglichkeiten der beruflichen Entwicklung angelegt, anderseits auch die Vorteile der bestehenden „Arbeitsteilung“ zwischen beruflicher Grundbildung und Hochschulbildung verringert.
    In der beruflichen Grundbildung wird mit jeder Revision einer Bildungsverordnung der Theorie-Anteil grösser und anspruchsvoller, parallel zu den steigenden Erwartungen des Arbeitsmarktes. Diese Tendenz gilt vor allem für industrielle Berufe, weniger für die gewerblichen.
    Im Fachhochschulbereich wird vielerorts die Praxis zugunsten der Theorie dramatisch reduziert, und die Theorie mit weltfremder Mathematisierung aufgeladen. Das alles mit dem Argument, dass sich die Fachhochschulen den Universitäten angleichen sollen.
    Das praxisorientierte Berufsbildungssystem, ohnehin ein endemisches Pflänzchen in Deutschland, der Schweiz und Österreich, spaltet sich zunehmend auf in sogenannte anspruchsvolle Berufe (mit Trend zur Akademisierung) und andere Berufe. Lehrfirmen rekrutieren als Auszubildende mit Vorliebe Abiturient(inn)en und junge Menschen mit andern Abschlüssen auf der Sekundarstufe 2. Internationale Firmen spielen in der Schweiz gelernte Berufsleute gegen Bachelor-Absolvent(inn)en aus. Umgekehrt werden gelernte Berufsleute aus der Schweiz in den USA faktisch den College-Absolvent(inn)en gleichgesetzt.
    Die medizinische und paramedizinische Berufsausbildungen wurden in der Schweiz dem Tertiärbildungsbereich zugeordnet. Ironie des Schicksals: Absolventinnen (typische Frauenberufe) sind entlöhnungsmässig schlechter gestellt, als Absolvent(inn)en des normalen, der Sekundarstufe 2 zugeordneten Berufsbildungsystems.
    Und daneben bleibt ein wachsender Anteil junger Menschen die intellektuell oder kulturell diesem Trend nicht angepasst sind und aus dem Bildungssystem herausfallen.

  8. Vielen Dank für diese interessante Ergänzung! Ein Problem scheint wie so oft die Bewertung (z.B. was ist anspruchsvoll?) zu sein, die eine Hierarchisierung von Tätigkeiten und ihrer Wertschätzung nach sich zieht. Das ist wirklich ein bislang unterbelichtetes Thema von großer praktischer und gesellschaftlicher Relevanz!
    Gabi