Gabi Reinmann

Hochschuldidaktik

Wichtigtuerei und Gedankenlosigkeit

Ich mache kein Hehl daraus, dass mir die deutsche Sprache wichtig ist. Sie ist mein Werkzeug, ich würde auch für mich persönlich durchaus behaupten: mein „Denkwerkzeug“ (um mal das englische „cognitive tool“ zu vermeiden). Klar, dass ich mir heute die Zeit gekauft habe, wenn das Titelthema wie folgt angekündigt ist: „Rettet die deutsche Sprache! Die Elite spricht Englisch, am unteren Ende der Gesellschaft verkümmert die Sprachfähigkeit. Wie können wir verhindern, dass unsere Muttersprache weiter erodiert? Und welche Zukunft hat unsere deutsche Sprache überhaupt noch?“ Nun, mehr als zwei Seiten ist die Beantwortung dieser Fragen (im Feuilleton) dann doch nicht wert und sehr viel Neues habe ich nicht gelesen. Dass in der Wissenschaft das Deutsche allenfalls in geistes- und einigen wenigen sozialwissenschaftlichen Fächern noch eine gewisse (geringe) Bedeutung hat, ist hinlänglich bekannt. Dass das auch nicht mehr zu ändern sei, kann man ebenfalls überall da lesen, wo über das Thema geschrieben wird. Der Artikel bemüht sich, die Vor- und Nachteile der Durchsetzung des Englischen als globale Sprache einander gegenüberzustellen. Dabei wird auch die wachsende Kluft zwischen Wissenschaft und Gesellschaft/Öffentlichkeit angesprochen, wenn Publikationen und andere Darstellungsmodi nur mehr auf Englisch erfolgen. Wenig vertiefend dagegen kommen in dem Beitrag Überlegungen dazu ins Spiel, welche Bedeutung die Sprache auf das Denken und damit auch auf das wissenschaftliche Denken und wissenschaftliche Kreativität hat (der Autor sieht das allenfalls auf philosophischem Gebiet als relevant an).

Wirklich neu waren für mich zwei Punkte: (1) Der Beitrag verweist auf Arbeiten, die sich der Frage stellen, wie sich das Englische verändert, wenn es denn vor allem von „Ausländern“ als „Lingua franca-Englisch“ gesprochen wird. Das sei dann auch nicht mehr die Sprache der englischen Muttersprachler, sondern eine andere – eine die allen gehöre. Das finde ich einen ganz interessanten Gedanken, aber ob das wirklich mehrheitlich so wahrgenommen wird? (2) Der Beitrag thematisiert quasi als Rahmen für die restlichen Ausführungen die Verantwortung der „Eliten“ in einer Gesellschaft gegenüber der eigenen Sprache. Und so endet der Beitrag mit folgendem Absatz: „Dass Teile unserer Eliten diese Sprache [Anm. das Deutsche in bedeutenden Werken der Literatur und Philosophie] nicht verstehen und nicht mehr sprechen, hat wenig mit globalen Zwängen zu tun und viel mit Wichtigtuerei und Gedankenlosigkeit. Damit verhalten sich die Eliten unverantwortlich, denn der Zustand einer Sprache hängt am meisten von jenen ab, die Macht und Einfluss haben. An ihrem Sprachverhalten richten sich jene aus, die unten sind und nach oben wollen“. Vor Wichtigtuerei und Gedankenlosigkeit ist auch die Wissenschaft nicht gefeit und ich habe schon mitunter den Eindruck, dass wenig neue und tiefe Gedanken, verpackt in einem englischen Text oder Vortrag, allein aufgrund der damit erreichten Internationalität bereits eine Menge „Bonuspunkte“ einheimsen, die dann inhaltliche Defizite kompensieren (sollen). Auch das ist letztlich unverantwortlich.

2 Kommentare

  1. Liebe Gabi
    Danke für den Hinweis, ich erhalte ja hier immer nur die Schweizer Zeit, wo dies leider kein Thema war :(.
    Ich würde noch einen Bereich hinzufügen wollen, Englisch als lingua franca hat nicht nur Auswirkungen auf Denken und Wissenschaft, sondern auch die Lehre. In immer mehr Kursen und Vorlesungen sitzen Studierende und Dozierende zusammen, deren Muttersprache nicht English ist und für die Englisch die einzige Verständigungsmöglichkeit darstellt. Dies hat auch Auswirkungen auf Lehren und Lernen, so dass Herausforderungen auch in diesem Bereich liegen, und zwar für Lehrende, Lernende und Hochschuldidaktiker, die wie in unserem Fall dies in Kursen in Zusammenarbeit mit dem Sprachenzentrum zusammenkommen.
    Die Frage ist für mich, inwieweit man sich als Wissenschaftler diesem Trend wirklich entziehen kann, wenn Mobilität und Internationalisierung im Research-Portfolio immer wieder auch verlangt wird und es mittlerweile auch einen globalen, internationalen Tagungstourismus gibt. Noch nicht einmal in den Geschichtswissenschaften, die zu grossen Teilen regional und lokal verankert sind, kommt man an Englisch vorbei.
    Liebe Grüsse
    Mandy

  2. Hallo amndy,
    ja, du hast recht, das mit der Lehre bei multinationaler Zusammensetzung der Studierenden ist auch so ein Punkt, bei dem wir wenig wissen, was Englisch als „lingua franca für alle“ mit Lehr-Lernprozessen macht.
    Zu deinem zweiten Absatz: Ich denke, es geht hier nicht um Trends und um Fragen, ob man sich entziehen kann oder nicht. Vielmehr sollte man mal anfangen zu fragen und Antworten darauf zu finden, (a) ob und warum Internationalität ein Wert an sich ist bzw. sein soll, (b) inwieweit professonelle Übersetzungsdiesnte mehr Verbreitung auch an Hochschulen finden sollten, (c) wie man neben internationaler Verständigung die nationale aufrecht erhalten kann, (d) wie sich Englisch als Globalsprache und Nationalsprachen sinnvoll ergänzen könnten, um inhaltliche (nicht nur kommunikative) Probleme zu lösen etc.
    Gabi