Evaluationen in der Hochschullehre sind heute Standard. Das ist an sich ein relativ neues Phänomen. Als ich studiert habe (na ja, das ist natürlich auch sehr lange her – so in der zweiten 1980er Hälfte) gab es allenfalls eine kurze Feedback-Runde am Ende eines Seminars – vielleicht. Vorlesungen wurden gar nicht bewertet. Auch später, als ich meine eigenen ersten Veranstaltungen angeboten oder daran mitgearbeitet habe, war das Ob und Wie fast ausschließlich Sache des Dozenten. Nur an und zu gab es mal „stichprobenartig“ einen Fragebogen, der seitens des Studiendekanats verteilt wurde – alle paar Jahre.
Heute hat man in Hochschulleitungen eigene Ämter geschaffen, die dafür da sind, die Qualität der Lehre zu „sichern und weiterzuentwickeln“ und damit halt auch – ja, ich nenne es mal so – zu überwachen. Dazu sammelt man Daten. Eine wichtige Datenquelle ist die Evaluation von Lehrveranstaltungen. Das hängt natürlich auch mit den Akkreditierungen zusammen. Was davon also eine aus den Hochschulen quasi von innen kommende Entwicklung und was Reaktion auf Notwendigkeiten von außen ist, lässt sich wohl schwer abschätzen. Aber um das geht es mir an dieser Stelle nicht.
Nein, mir geht es in diesem kurzen Beitrag eher darum, mal zu explizieren, warum ich bei den aktuellen Evaluationen so ein ungutes Gefühl habe. Dabei ziehe ich nicht den Sinn in Zweifel, DASS evaluiert wird. Das ist gut so. Es ist begrüßenswert, dass man über Lehre spricht, dass man versucht, sich ein Bild über die Qualität der Lehre zu machen, und wenn man dann auch noch Anstrengungen unternimmt, diese zu verbessern – wunderbar! Früher war es definitiv NICHT besser. Aber ich glaube einfach nicht (mehr), dass uns das mit den jetzt nahezu etablierten Mitteln, insbesondere nicht mit den klassischen Studierendenbefragungen, gelingt. Warum nicht?
Das erste Problem ist schon mal Folgendes: Kommuniziert wird, dass man Veranstaltungen evaluiert. Aber wenn man sich mal die üblichen Evaluationsbögen ansieht, dann werden der Lehrende, sein Lehrkonzept und dessen Umsetzung, seine Ziele und Zielerreichung und sein Verhalten, vielleicht auch ein paar Rahmenbedingungen erfasst und bewertet bzw. evaluiert. Also da fehlen mir die Lernenden! Ob eine Veranstaltung gelingt oder nicht, hängt nicht nur vom Lehrkonzept und dessen Umsetzung ab, also von dem, was sich der Lehrende überlegt hat und wie er dann handelt. Es hängt ja wohl auch von den Studierenden und davon ab, inwieweit sie sich an dem Angebot beteiligen und wie sie selbst handeln. Niemand bestreitet in der Regel, dass für gelungene Bildungsprozesse die Interaktion zwischen Lehrenden, Lernenden und der Sache, um die es geht, entscheidend ist. Der Lehrende kann daran einen großen Anteil haben, aber die Evaluation allein des Lehrenden bleibt auf halbem Wege stehen, wenn man sich ein Urteil über Lehrveranstaltungen bilden will.
Um sich von einer Veranstaltung und deren Qualität ein Bild machen zu können, das einigermaßen valide ist, müsste man an sich ganz selbstverständlich auch die Studierenden und deren Handeln in die Evaluation mit einbeziehen: Was bringen Studierende von sich aus in die Veranstaltung ein? Wie beteiligen sie sich, wie bereiten sie etwas vor und nach, wie unterstützen sie sich gegenseitig etc.?
Es ist völlig in Ordnung, dass Studierende ein Urteil über einen Lehrenden abgeben. Aber auch Studierende müssten (als Gruppe) in dem Sinne „bewertet“ werden, wie sie zum Erfolg einer Veranstaltung beitragen. Das könnte der Lehrende machen (analog zur Lehrenden-Bewertung seitens der Studierenden); besser wäre sicher ein externes Urteil, was aber freilich organisatorische Probleme aufwirft. Ebenfalls sinnvoll wäre es, dass Studierende von Zeit zu Zeit untereinander die Dynamik einer Veranstaltung und das gemeinsame Handeln einschätzen. Das heißt aber dann letztendlich: Man muss miteinander ins Gespräch kommen! Und das ist etwas ganz anderes, als Kreuzchen auf Fragebögen zu machen.
Ja, ich weiß, was jetzt für ein Einwand kommt – die Anonymität ist wichtig. Das sehe ich auch – zumindest so lange wir noch Prüfungen mit Rechtsfolgen haben. Ein Hindernis für gegenseitiges transparentes Feedback dürfte außerdem sein, wenn Evaluationen vorrangig gemacht werden, damit Akkreditierungsagenturen Ruhe gebe, wenn sie also vor allem formal das Signal aussenden sollen, dass man ja etwas für die Qualität der Lehre tut. Unter so einem Vorzeichen ist es schwierig, eine Kultur aufzubauen, die dergestalt ist, dass alle ein echtes Interesse an guter Lehre haben und jeder (!) seinen Teil dazu beiträgt: Lehrende und Studierende.
Aber ich fürchte, die Tendenz geht in eine andere Richtung: immer mehr Evaluationen – parallel dazu immer weniger Rücklauf, weil Studierenden freilich schon langsam die Nase voll davon haben, Fragebögen auszufüllen; immer mehr Daten – parallel dazu immer weniger Ideen, was man damit eigentlich genau anfangen soll; immer mehr zentrale Vorgaben – parallel dazu immer weniger gegenseitiges Vertrauen und Lust, sich an diesen Routinen zu beteiligen.
Also ich weiß nicht – so wird das doch nichts, oder?
29. September 2012 um 14:14
Oder!
Wenn Veranstaltungen bis vor Jahren nicht oder wenig evaluiert wurden, ist es doch schon ein erster Schritt, einen bestimmten Teil, die Lehrenden, „unter die Lupe“ zu nehmen. Sollte es irgendwann tatsächlich um die Lernenden gehen, dürften sie aus meiner Sicht auf gar keinen Fall nur als Gruppe bewertet werden. Warum auch? – Möglicherweise vergeht den Studierenden die Lust auf Fragebögen allein dadurch, weil sie erfahren haben, dass sich für sie spürbar trotzdem nichts ändert? Warum sollten sie ihre Meinung äußern, wenn sie sich einer objektiven Bewertung in der Prüfung nicht sicher sein können? Warum sollten sie mit den Lehrenden im Sinne einer Verbesserung zusammen arbeiten wollen, wenn sie während ihrer Semester nicht erfahren haben, dass diese Zusammenarbeit ehrlich erwünscht ist und wenn sie keine Antworten von einigen(wie vielen?) Lehrenden auf ihre drängenden Fragen bekommen? Es liegt noch eine Menge mehr im Argen und ich bin hier an der falschen Adresse mit meiner Kritik. Vielleicht würde es ja schon helfen, wenn weitere Lehrende ein Blog führten. Das scheint jedoch unrealistisch zu sein. Deshalb ein neuer Vorschlag: Wie wäre es, wenn alle Lehrenden ihre Erwartungen an die Studierenden glasklar formulieren würden (und im Gegenzug die Erwartungen von den Studierenden an die Lehrenden erhoben werden)? Wie wäre es, wenn alle Lehrenden ihre Vorbildfunktion endlich so wahrnehmen, dass die Lernenden sich daran orientieren können? (Dazu nur einige Stichworte: Kommunikation jeglicher Art, Zitation, Pünktlichkeit, Arbeitsmaterialien, Sprechstunden…)
Doch, das kann noch etwas werden!
29. September 2012 um 14:24
Also eine klare Darstellung von Zielen und Bewertungskriterien für Prüfungen ist für mich selbstverständlich. Wenn etwa eine Evaluation des Lehrenden (!) aufdeckt, dass es das nicht gibt, dann hatte die Evaluation ja einen Sinn – denn das gehört zu einer Veranstaltung natürlich dazu. Nur wenn man Ziele, Wege und Kriterien vorab kommuniziert und begründet (!), können Studierende im Bedarfsfall auch Forderungen stellen (und begründen!), die davon abweichen – dann ist man ebenfalls bei einem Gespräch (statt Kreuzchen).
Von daher: Das sehe ich nicht als neuen Vorschlag, sondern als ein selbstverständliches Element einer Lehrveranstaltung.
Mir ging es hier darum, deutlich zu machen, dass Lern- und Bildungserfolge von ALLEN Beteiligten abhängen. Es ist natürlich noch viel komplexer: Sind Lehrende schlecht vorbereitet (oder anderweitig nicht erpicht auf Lehre), hat das Auswirkungen auf die Studierenden – aber eben auch umgekehrt. Das darf aus meiner Sicht nicht unter den Tisch fallen – auch bei Evaluationen nicht.
Dazu vielleicht auch nochmal der Link zu zwei anderen Blog-Beiträgen:
http://gabi-reinmann.de/?p=3092
http://gabi-reinmann.de/?p=2932
1. Oktober 2012 um 21:01
Wie das Leben so spielt: Heute erhielt ich die Fragebögen zur Evaluation der Module aus dem vergangenen Semester.
Mit dem obigen Beitrag im Kopf habe ich nun ‚mal genauer auf die Fragen geachtet und neben den üblichen Kreuzchen gab es nicht nur offene Fragen zu den Inhalten und der Betreuung durch das Lehrgebiet, sondern auch die Bitte um nähere Erläuterungen einiger (kritischer?) Antworten. Außerdem sollte die eigene Studienleistung während des Semesters eingeschätzt und ebenfalls mit einer Begründung (in Worten)versehen werden.
Es wird!