Ich möchte in diesem Blog-Post ein (vielleicht typisches?) hochschuldidaktisches Problem schildern.
Ausgangslage: Über drei Veranstaltungen hinweg (innerhalb eines Studienjahres, denn bei uns gibt es Trimester) sieht der Leistungsnachweis für ein Modul so aus, dass eine kleine – ich sage mal – E-Portfolio-ähnliche Zusammenstellung der Bearbeitung von drei Aufgaben zu Modulende abzugeben ist. Jede Aufgabe besteht aus zwei Teilen: Im ersten Teil sucht man sich als Studierender eine Frage aus einer Liste von acht bis zehn Fragen aus, die man mit Hilfe von Literatur und der im Seminar erworbenen Kenntnisse auf ca. zwei Seiten beantwortet. Die Fragen sind so formuliert, dass sie genau zu den Inhalten in der Veranstaltung passen und jedem die Möglichkeit geben, das, was er/sie im Seminar erarbeitet hat, auch nochmal zu nutzen. Da aus jeder der drei Veranstaltungen zudem kleinere „Produkte“ resultieren (z.B. eine durchgeführte Unterrichtseinheit, ein selbst gestaltetes Medium, Ergebnisse einer eigenen Evaluation – alles Teamprodukte), besteht die zweite Hälfte der Aufgabe darin, auf maximal einer Seite, das jeweilige „Produkt“ kurz zu beschreiben und selbstkritisch einzuschätzen. Wie das genau aussehen soll, ist in einem Merkblatt (Merkblatt_Leistungsnachweis_Portfolio) festgehalten.
Feedbackangebot: Die Studierenden haben die Möglichkeit, ihre drei nacheinander zu erarbeitenden Aufgabenlösungen bis zu einer bestimmten Deadline (ca. zwei Wochen nach Veranstaltungsende) bei mir einzureichen, um ein Feedback zu erhalten. Mit diesem Feedback können sie ihre Arbeit verbessern. Ohne dass es negative Auswirkungen auf eine Note hat, kann also jeder vorab eine Einschätzung zur Qualität seiner Texte bekommen und kann sich im Prozess verbessern. Das Ergebnis am Ende kann dann eigentlich nicht mehr wirklich schlecht sein – im Idealfall (und das sollte die Studierenden freuen, ist aber auch ein Stein des Anstoßes etwa für den Wissenschaftsrat, der ja zu gute Noten beklagt – siehe z.B. hier).
Jetzt die große Frage: Wie viele von 49 Studierenden nehmen wohl diese Möglichkeit wahr? Sieben! Oder anders formuliert: im aktuellen Jahrgang nur jeder siebte Studierende. Nun wird vermutlich der Einwand kommen: Die Deadline ist zu knapp gesetzt. Das mag sein, erscheint mir aber letztlich nicht wirklich stichhaltig, denn wie sinnvoll ist es denn, mehrere Wochen oder gar Monate verstreichen zu lassen, wenn man dann die relevanten Inhalte für die Aufgabe nicht mehr frisch im Kopf und am Ende viel mehr Mühe hat? Und kann man nicht eine rudimentäre Zeitplanung erwarten, wenn Anforderungen und Termine alle rechtzeitig bekannt sind?
Wie geht man damit um? Dass theoretisch sinnvolle didaktische Angebote praktisch scheitern, ist nicht neu – also auch nicht neu für mich! Schwierig zu klären ist aus meiner Sicht, wie man am besten reagiert: (a) Das Angebot einstellen – erscheint mir nicht sinnvoll, denn man „bestraft“ diejenigen, die es ja annehmen. (b) Das Angebot ändern, sodass es „angenehmer“ wird – kommt ebenfalls für mich eher nicht in Frage; habe ich früher tendenziell gemacht; heute bin ich da zurückhaltender, denn Lernerfolge erfordern eben schon auch Anstrengung auf Seiten der Studierenden; ich sehe keinen Sinn darin, den „Wohlfühlfaktor“ permanent zu erhöhen, weil das am Ziel vorbeigeht. (c) Das Angebot beibehalten und durchhalten – liegt wohl am nächsten, weil es auch eine Frage der „Lehr-Lernkultur“ ist, wie man mit Feedback umgeht; und das ist nun mal ein eher längerer Prozess.
17. Januar 2013 um 15:11
Liebe Frau Reinmann,
von einer ähnlichen Situation kann auch ich berichten. Meine Kurse sind deutlich kleiner und das Feedback bezieht sich auf die Seminararbeit (40-60% des Endergebnisses). Von neun Teilnehmenden erwarte ich 1-2 Arbeiten, die Deadline läuft diese Woche aus. Dazu sollte ich noch sagen, dass sich die TN auf zwei Kurse verteilen, die beiden Arbeiten aus dem kleineren Kurs mit nur drei Teilnehmenden stammen. Ich weiß, Lehrwunderland.
Die Feedbackkultur ist hier nicht verbreitet und bei den Teilnehmenden war die Verwunderung über tatsächlich durchgeführte Vor- und Nachbesprechung(en) zu Referaten, Abstracts und Seminararbeiten groß. Am Anfang des Semesters gab es noch eine gewisse Skepsis, zumal die Anforderungen höher sind als in vergleichbaren Veranstaltungen hier im Fach, spätestens nach der vierten Sitzung wurde das Vorgehen jedoch sehr gelobt, insbesondere das Feedback. Im Kleinen hat die Feedbackkultur schon erste Früchte getragen (Bsp: Diskussionsfragen meiner BA-Studierenden gleichen jetzt bereits denen in MA-Veranstaltungen oder übertreffen sie sogar), bei der großen Seminarleistung ist vielleicht die Aufwand-Nutzen-Relation noch unbekannt.
Ich werde mich ebenso für Option C entscheiden, auch wenn der Rücklauf gering ist. Der Lernfortschritt und das entstandene Engagement meiner Teilnehmenden ist zu deutlich um auf umfassendes Feedback zu verzichten, auch wenn (noch) nicht alles ankommt.
Viele Grüße
Simon Scholz
17. Januar 2013 um 15:15
Danke für die Ergänzung Ihrer Erfahrung! 🙂
17. Januar 2013 um 20:34
Ich habe nicht gezählt, welcher Anteil der Studierenden ein vergleichbares Angebot bei mir wahrgenommen hat; gefühlt waren es einige mehr. Mehrfach wurde ich darauf hingewiesen, dass eine solche Betreuung ungewöhnlich sei – im positiven Sinne. Würde darauf tippen, dass viele Studierende einfach noch keine Erfahrung mit so etwas gesammelt haben, den Nutzen nicht einschätzen können und einen Versuch einfach „verschleppen“. Wäre eine Befragung nach dem „Warum“ möglich?
Ich habe es stets als freiwilliges Angebot gesehen und war auch nicht betrübt, dass einige es nicht angenommen haben.
18. Januar 2013 um 06:38
Zum letzten Satz: Das ist ja eher keine Frage des Betrübt- oder Erfreut-Seins, denn es geht mitnichten um die Befindlichkeit des Lehrenden – jedenfalls ging es mir nicht in diesem Erfahrungsbericht darum ;-). Eher geht es aus meiner Sicht (a) um die Nutzung von Potenzialen, die man an der Uni bieten kann, (b) aber auch um eine gewisse Effizienz im Umgang mit Ressourcen und (c) natürlich um die Lernprozesse der Studierenden und die Ziele, die man an ein Studium knüpft.
Die Veranstaltungen werden immer evaluiert – ja. Da fragt man auch nach besonderen Kennzeichne eines Seminars. Aber – wie gesagt – ich gehe davon aus, dass man da auch die Gründe nicht exakt fassen kann, weil es wahrscheinlich daran liegt, dass es viel mit Erwartungen, Überzeugungen, Gewohnheiten, aber auch Ansprüchen an und Annahmen zum Studium zu tun hat. Für mich ist diese Feedback-Sache übrigens auch nur ein Beispiel.
Gabi
18. Januar 2013 um 13:40
Hoffentlich setze ich mich nicht wieder in die Nesseln, aber eigentlich steht die Antwort schon da: Am Anfang der Veranstaltung müssen die Erwartungen aller Beteiligten auf den Tisch gelegt, diskutiert, unter einen Hut gebracht, während des Jahres überprüft und am Ende verglichen werden, ob die Umsetzung gelungen ist.
Und, selbstverständlich geht es um die Befindlichkeit der Lehrenden, aber nicht nur. Auch das Wissen um das Befinden der Studenten ist enorm hilfreich bei der Lösung von Problemen, weil sich beides schon auf die Lehrveranstaltung auswirkt und ständig gegenseitig beeinflusst.
Ich würde die Studenten in diesem Fall einfach fragen, warum das Angebot nicht genutzt wurde und die Antworten dafür nutzen, um über eine evtl. Änderung des Angebotes nachzudenken.
18. Januar 2013 um 15:06
Sehr geehrte Frau Prof. Reinmann,
das ist natürlich sehr enttäuschend. Ich sehe hier 2 Lernchancen. Einmal den Stoff zu vertiefen, die andere Lernchance liegt doch darin den eigenen Lernprozess zu reflektieren. Oder liege ich hier falsch? Wäre es zu viel erwartet, daß hier einmal ein Modelllernen à la Bandura einsetzt. Das würde aber eine Rückkopplungsschleife voraussetzen. Entweder, daß die 6/7 der Studenten im nächsten Trimester ihr Verhalten überdenken, oder daß die nachfolgende Generation realisiert, wer letztlich einen höheren Lernerfolg hatte.
Herzliche Grüße
Erwin Pfuhler
18. Januar 2013 um 23:39
Danke für die Ergänzung, da habe ich wohl Trübsal herausgehört, wo gar keine war. Die Teile a) und c) verstehe ich, bei b) bin ich mir nicht sicher. Wessen Ressourcen sind gemeint?
19. Januar 2013 um 07:04
Hallo zusammen,
vielen Dank für die Beiträge – das Thema scheint zumindest einige Leser zu interessieren. Das ist schön (es gab hier auch schon andere Beiträge zu Feedback und auch in Christian Spannagels Blog wurde das Thema schon diskutiert). Ich mache ein paar ergänzende Aussagen, die hoffentlich die Hinweise und Fragen ausreichend aufgreifen:
Zu den Ressourcen: Gutes und brauchbares Feedback zu geben, ist aufwändig. Es muss ja auch so gestaltet sein, dass man es als Lernender nutzen kann, um die Leistung zu verbessern. Daher kann man das auch nur dosiert machen, sofern man nicht Coach für eine Handvoll Leute ist. Wenn man aufwändiges Feedback gibt, sollte es auch genutzt werden, denn: Nur die Nutzung des Feedbacks durch den Lernenden ist am Ende das, was man als „Ertrag“ bezeichneten könnte – wenn man denn in Aufwand-Ertrag denken will. Und ja, ich meine, man muss so AUCH denken, denn Zeit und Anstrengung stehen ja weder auf Seiten des Lehrenden noch auf Seiten der Lernenden unbegrenzt zur Verfügung. Das ist übrigens auch der Grund, warum ich ausprobiert habe, was passiert, wenn man nicht ungefragt ALLEN ein Feedback gibt (ich hätte ja auch alle Zwischenschritte einfordern können, um darauf Rückmeldungen zu geben), sondern Studierende sich dieses Feedback selbst einholen. Ich gehe nämlich davon aus, dass die, die es einfordern, das Feedback auch nutzen. Wer gar kein Feedback will – nun ja: Da werden dann Ressourcen schon in gewisser Weise fehl investiert.
Zu den Alternativen: Was man in Situationen macht, die ich skizziert habe, steht für mich persönlich fest: Man versucht es nochmal, versucht die Schwierigkeiten einzugrenzen, ändert stellenweise etwas etc. Das kann man dann, wenn man es systematisch macht, zu dem ausbauen, was man Design-Based Research oder entwicklungsorientierte Bildungsforschung nennt. Meine Frage war also eher rhetorischer Art. Daher auch mein Hinweis, dass solche Beiträge natürlich nicht als Klage gemeint sind, sondern eher einen Versuch darstellen, interessierte Leser an solchen Prozessen ein ganz klein wenig teilhaben zu lassen – und da gehören u.a. auch Laut-Denk-Prozesse dazu. Ich würde hier nie ernsthaft empfehlen, nach dem ersten Versuch aufzugeben. Das ist ohnehin selten der Fall, dass Neuerungen auf Anhieb so richtig gut funktionieren. Und ja – ganz genau: Ich denke auch, dass das viel mit Erwartungen und eben auch Gewohnheiten zu tun hat – also alles, was man unter den Begriff der „Kultur“ subsumiert. Und da brauchen Änderungen Zeit, manchmal viel Zeit. Übrigens: Das Angebot gibt es auch wieder im aktuellen Trimester für die gleichen Studierenden.
19. Januar 2013 um 17:23
Danke! Ich hatte mich gefragt, wo bei diesem Setting Ressourcen ineffizient genutzt werden, wenn es Feedback nur auf Anfrage gibt. Das b) auf den vorherigen Modus bezogen war, war mir nicht klar.