Gabi Reinmann

Hochschuldidaktik

Wie mache ich das eigentlich?

Kürzlich habe ich einen Artikel (hier) über Funktion, Ziel und Aufgabe von Gutachten am Ende der Promotion gelesen – verfasst von Tassilo Schmitt, Professor für Alte Geschichte an der Universität Bremen. Der Beitrag liefert gewissermaßen Qualitätskriterien für ein gutes Dissertationsgutachten. Wer hier – weil z.B. zum ersten Mal ein Dissertationsgutachten ansteht – unsicher ist, kann sich in diesem Text gute Anregungen holen.

Ich habe den Text auch unter der Frage gelesen, wie meine eigenen Gutachten zu den empfohlenen Kriterien stehen: Sind sie nah dran oder weit davon weg? Ich komme (mit Erleichterung ;-)) zu dem Schluss: ziemlich nah dran:

(1) Der Autor fordert z.B. eine ausreichende Länge von sechs bis acht Seiten, weil anders eine intensive Auseinandersetzung mit einer Dissertation, die ja in der Regel einen beachtlichen Umfang hat, nicht möglich sei. (2) Es gehöre „zu den Aufgaben eines Gutachtens, über den Aufbau und den Gang der Argumentation zu informieren“. Das heißt: Man gibt einen inhaltlichen Überblick, bei dem man sich mit dem eigenen Urteil noch zurückhält. (3) Notwendig sei es außerdem – im Anschluss – „sowohl inhaltlich als auch formal Stärken und Schwächen präzise und konkret zu benennen“. (4) Keinesfalls fehlen dürften zudem: (a) „eine gut begründete Stellungnahme zu sachlichen Irrtümern, Versäumnissen und Fehlern“, wobei dies exemplarisch erfolgen sollte, und (b) „eine Beschreibung und Bewertung der formalen Qualität der Arbeit“, worunter unter anderem die Sprache und Zitation fallen. (5) Schließlich müsse man für das Gesamturteil Vorzüge und Schwächen der Arbeit gegeneinander abwägen: „Das bedeutet auch, dass man explizit darlegt, warum man welchem Aspekt welches Gewicht zuweist.“

Wenn man die erste Professur antritt und vor dem ersten Dissertationsgutachten sitzt (ich kann mich da an meines noch gut erinnern), dann fällt einem auf, dass man kein „Rezept“ für diese Aufgabe hat, und man fragt sich: Wie mache ich das eigentlich? Wie bei vielen anderen Dingen auch, gilt in der Regel: durch „Learning by doing“ (was an sich der helle Wahnsinn ist). Vielleicht schaut man in sein eigenes Gutachten, falls man das ausgehändigt bekommen hat; vielleicht fragt man einen Kollegen (oder auch nicht, weil man dann ja eine Schwäche bloßlegt); vielleicht hat man (im besten Fall) einen Mentor und der gibt einem dann einen Tipp; und dann macht man halt einfach mal … Habe ich auch so gemacht. Vor diesem Hintergrund ist Schmitts Text unter Umständen ein hilfreiches Dokument – als Orientierung für den „Anfänger“ oder als „Qualitätscheck“ für den „Fortgeschrittenen“ 😉

Interessant in Schmitts Text fand ich aber noch folgenden Hinweis: Gutachten sollten – so seine Einschätzung – „die Dissertation eben nicht nur für das unmittelbare Fachkollegium, sondern auch für die Angehörigen benachbarter Disziplinen erschließen. Wenn das gelingt, dürfen sie als wichtiger Beitrag zum lebendigen wissenschaftlichen Austausch innerhalb der Fakultät gelten, bei dem sich die Bedeutung der jeweiligen Fächer und ihrer Zusammengehörigkeit unter Beweis stellen“. Ich muss zugeben, dass ich dieses Kriterium bisher zumindest nicht explizit verfolgt habe, aber es ist einleuchtend und erscheint mir auch sinnvoll – zumal da z.B. Drittprüfer oftmals aus einer anderen Disziplin kommen. Um aber den wissenschaftlichen Austausch wirksam anzukurbeln, müssten die Gutachten an sich „öffentlicher“ werden, was aber wieder schwierig ist, da es sich ja bei den Begutachtungsgegenständen um Qualifizierungsarbeiten handelt.

Was der Text leider nicht thematisiert, ist die Schwierigkeit, am Ende der Begleitung einer Promotion von der Betreuer- in die Bewerter-Rolle zu wechseln. Vor einem kappen Jahr hatte ich in diesem Blog (hier) bereits die Frage reflektiert, wann man in der Feedback-Phase am Ende einer Promotion Gefahr läuft, zum Co-Autor zu werden. Mir fällt es regelmäßig etwas schwer, einen Doktoranden, nachdem er jahrelang  Mitglied einer eigenen kleinen wissenschaftlichen (Doktoranden-)Community mit engem gegenseitigen Austausch (auch mit mir als Betreuer) war, quasi wegzustoßen und einen Punkt zu setzen. Ich vermute mal, dass ich diesen Punkt ohnehin weit ausdehne und schon öfter habe ich erstauntes Kopfschütten von anderen Professoren geerntet, wenn sie hören, wie intensiv der Austausch mitunter ist. Ich hätte im Prinzip nichts dagegen, wenn der Gutachter ein anderer wäre als der Betreuer, sofern sichergestellt werden könnte, dass dieser nicht, z.B. methodisch eine ganz andere Richtung vertretend, Kriterien anlegt, die in Bezug auf die Art der Dissertation unangemessen sind (z.B. ein reiner Experimentalforscher, der  eine qualitative Fallstudie bewertet, ohne ein plurales Forschungsverständnis zu vertreten, oder umgekehrt).

Es wäre sicher ein eigener Text wert, die Rollenproblematik bei der Betreuung und Bewertung im Rahmen von Promotionen zu reflektieren. Allerdings: Kaum etwas in der Wissenschaft ist im strengen Sinne „objektiv“. Und natürlich sind auch Dissertationsgutachten subjektiv. Daher sind die Begründungen und das nachvollziehbare Abwägen von Stärken und Schwächen so essenziell. Daran würde wohl auch die genannte Rollentrennung nichts ändern.

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