Gabi Reinmann

Hochschuldidaktik

Arbeitsmarktpolitische Problemgruppen durch Hochschulbildung?

Studium nach Bologna: Praxisbezüge stärken?!“ so lautet der Titel eines Buches von W. Schubarth, K. Speck, A. Seidel, C. Gottmann, C. Kamm & M. Krohn, 2012 erschienen. Ich bin also schon zwei Jahre „zu spät“ dran, aber, wie ich jetzt auch noch einmal in diesem Bch gelernt habe: Die Themen Praxis und Praxisbezug im Studium sind ohnehin ein Klassiker – also kein neues Bologna-Phänomen, sondern eine „alte Debatte“ (S. 24). Die meisten Beiträge des Bandes – so ist es der Einleitung zu entnehmen – entstammen aus der Abschlusstagung des Projekts ProPrax an der Universität Potsdam. Der Band vereint Texte mit empirischem Gehalt zu Praxisphasen im Studium mit Texten, die Praxisphasen aus der Perspektive verschiedener Akteure beleuchten, und Texten, die Entwicklungsperspektiven für Hochschulen aufzeigen, wenn es um die „Praxis“ im Studium geht.

Das Thema ist nicht nur aktuell, sondern höchst relevant: Studierende in fast allen Studiengängen scheinen mit dem Praxisbezug nicht ausreichend oder gar nicht zufrieden zu sein. Gleichzeitig hat wohl jeder Hochschullehrer bereits die Erfahrung gemacht, dass das, was Studierende (wie auch die Kollegen) unter Praxis und Praxisbezug im Studium verstehen, höchst unterschiedlich ist. Mehrere im Buch zitierte Studien liefern die empirische Belege für diesen Eindruck: Praxis und Praxisbezug sind mehrdimensionale Phänomene.

Von mehreren Autoren wird angeführt, dass die Diversität in den Praxiserwartungen und -anforderungen auch deshalb so groß ist, weil eben der Bezug zwischen Studiengängen und Berufen alles andere als homogen ist: Manche Studiengänge fungieren als Zugangsweg für bestimmte Berufe im Sinne von Professionen (z.B. Medizin, Lehramt); andere Studiengänge ermöglichen eher eine Bandbreite verschiedener, aber zumindest beschreibbarer Berufe (z.B. Ingenieurswissenschaften, BWL); wieder andere Studiengänge gelten als wissenschaftliche Ausbildung, ohne dass diesen konkrete Berufsbilder zugeordnet sind, wie das bei den meisten Geistes- und Sozialwissenschaften der Fall sein dürfte (siehe hierzu z.B. den Beitrag von Hessler & Oechsle).

Neu ist das Thema trotzdem nicht: Andrä Wolter zeichnet in seinem Beitrag die Geschichte des Praxisbezugs anschaulich nach und verweist unter anderem darauf, dass man Praxis nicht nur reflexartig mit Beschäftigungsfähigkeit („employability“) assoziieren müsste, sondern auch (was einmal der Fall war) als „emanzipatorische gesellschaftliche Praxis“ (S. 24) sehen kann. Wolter kritisiert das Konzept der Beschäftigungsfähigkeit scharf: Seinen Ursprung hat es in der europäischen Arbeitsmarkt- und Beschäftigungspolitik; dort zielte es „in erster Linie auf die Förderung und (Re-)Integration arbeitsmarktpolitischer Problemgruppen ab“ (S. 28). In der Tat mutet das letztlich seltsam an, wenn man die Employability zum Leitbegriff gemacht hat und (gerade in Deutschland) gleichzeitig an der Idee „Bildung durch Wissenschaft“ festhalten will. Oder folgt daraus etwa, dass Wissenschaft geradewegs arbeitsmarktpolitische Problemgruppen produziert? Wolters Alternativ-Begriff lautet „wissensbasierte professionelle Handlungskompetenz“ (S. 33).

Johannes Wildt geht mit anderen Begriffen in eine durchaus ähnliche Richtung. Er lehnt den Begriff der Employability allerdings nicht ab, sondern reiht ihn ein in mehrere Begriffe, die er in konzentrischen Kreisen anordnet (S. 272): Im innersten Kern, wenn es um den Beruf geht, steht die Qualifikation; im nächsten Kreis befindet sich die Profession, dem die Professionalität zugeordnet ist; dem folgt das Tätigkeitsfeld, für das der Erwerb von Schlüsselqualifikationen erforderlich ist; erst danach findet sich der Kreis mit dem Beschäftigungssystem, für welches „Employability“ nötig ist. Den äußersten Kreis schließlich bilden Gesellschaft und Kultur, dem Wildt das Konzept „Citizenship“ zuordnet – ich vermute, dass es hier eine gewisse Nähe zu Wolters „emanzipatorischer gesellschaftlicher Praxis“ gibt.

Ich habe das Buch besonders unter der Frage gelesen, in welchem Verhältnis das forschende Lernen (bzw. eine forschungsorientierte Lehre) zum Praxisbezug stehen kann. Die deutlichsten Worte findet hier Johannes Wildt, der eine klare Verbindung zwischen dem forschenden Lernen, dem „praktischen Lernen“ und dem reflexiven Lernen (S. 268) sieht, wobei er die Praxis konsequent mit dem Beruf (employability) und der Gesellschaft (citizenship) verbindet. Leicht ist diese Verbindung allerdings nicht umzusetzen: „Für die Hochschuldidaktik stellt das forschende Lernen in Praxisbezügen die größte Herausforderung dar, die aber gleichzeitig als hochschulgemäße Gestaltung von Praxisbezügen angesehen werden kann“ (S. 276).

Auch der Beitrag von Speck und Mitarbeiter am Ende des Buches weist dem forschenden Lernen eine wichtige Bedeutung für den Praxisbezug an Hochschulen zu. Basis der Argumentation ist eine forschungs- und praxisorientiert gestaltete Methodenausbildung an der Universität Oldenburg. Die Ausführungen zu diesem Beispiel halte ich für extrem wichtig bzw. instruktiv, denn: Vielerorts ist die Methodenausbildung inhaltsleer und läuft wenig verzahnt mit anderen Themen eines Studienfaches ab, wird von Lehrenden oft ungern angeboten, oftmals „abgeschoben“, mitunter auch so dargestellt, als müsse man da „halt auch durch“. Im schlimmsten Fall kommt bei Studierenden in der Folge an: Forschung ist das Gegenteil von Praxis und hat also mit der Beschäftigungsfähigkeit (oder einem anderen berufsrelevanten Ziel) nichts zu tun. Wo man diese unglückliche Tendenz ahnt, könnte eine Empfehlung des Buches wirklich nicht schaden – es lohnt sich!

Kommentare sind geschlossen.