Gabi Reinmann

Hochschuldidaktik

(Zu) Späte Selbsterkenntnis?

Über den GMW-Blog (hier) bin ich auf die Ankündigung einer Veranstaltung zum „Self-Assessment“ an der Universität Kassel (hier) gestoßen. Ich weise nicht darauf hin, weil ich plane hinzufahren (was zeitlich leider nicht geht), sondern weil das einer von doch mehreren Hinweisen auf das Thema „Self-Assessment“ im letzten Jahr ist. Ich habe mich damit noch nicht näher beschäftigt – müsste ich aber mal, denn: Es gehört auf jeden Fall in den Themenkreis „Assessment“: diagnostisches, formatives und summatives Assessment (einen knappen Überblick dazu gibt e-teaching.org hier).

Self-Assessment wird häufig als diagnostisches Instrument vor dem Studium oder in der Studieneingangsphase eingesetzt, kann aber natürlich auch als formatives Assessment-Instrument verwendet werden. Am häufigsten stolpert man aktuell allerdings darüber, wenn es um die Diagnose VOR dem Studium geht (siehe z.B. hier und hier). Und genau das macht mich etwas skeptisch.

Natürlich bringen Studienanfänger bestimmte Interessen mit, Vorerfahrungen und Vorkenntnisse. Und das ist auch sicher kein schlechter Weg, wenn man diese kennt und daran bei der Fächerwahl anknüpft. Aber was ist mit den Potenzialen, die man für sich noch gar nicht entdeckt hat? Was ist mit der Idee von Bildung als Erweiterung der eigenen Möglichkeiten, die man noch nicht kennen kann (sonst würden sie ja nicht potenziell in der Zukunft liegen)? Es kann freilich ungünstig sein, wenn Studierende zu spät erkennen, dass ihr Studienfach nicht das „richtige“ für sie ist, vor allem wenn die Zeit bis dahin quälend war. Volkswirtschaftlich mag es – zumindest kurzfristig – auch negativ zu Buche schlagen, wenn nach einem, zwei oder gar mehr Semester noch einmal das Studienfach gewechselt wird. Ich frage mich aber, ob der bisweilen wahrnehmbare Ehrgeiz, sofort auf der „richtigen Bahn“ im Rekordtempo seinem Ziel entgegen zu eilen, eine geeignete Antwort auf Orientierungslosigkeit, Unsicherheit oder eine etwas spätere Selbsterkenntnis ist. Das ist kein Plädoyer gegen Self-Assessment in seiner diagnostischen Funktion. Vielmehr geht es mir um die offene Frage, wie man die Phase der Orientierung junger (auch älterer) Menschen vor dem Hintergrund des Bildungsgedankens sinnvoll nutzen kann statt diese mit aller Kraft zu verkürzen.

Self-Assessment mit formativem Charakter geht in eine andere Richtung. Das könnte – so meine Vorstellung – viel mit Selbstreflexion zu tun haben. In dieser Form ist die Förderung von Self-Assessment in jedem Fall eine Aufgabe, die wir in der Hochschule sicher besser erfüllen könnten und müssten.

Vor diesem Hintergrund sind Veranstaltungen wie die in Kassel eine wichtige Maßnahme: Nur wenn Self-Assessment-Formen ausprobiert, aber eben auch in ihren Zwecken und Folgen diskutiert und reflektiert werden, wird man hier ein Stück weiterkommen.

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