Gabi Reinmann

Hochschuldidaktik

Einfach gut geredet

Merkel begeistert ihre Partei – mit einer Rede! Heiner Geißlers Kommentar: Das sei die größte Rede gewesen, die Angela Merkel je gehalten habe – sowohl rhetorisch als auch inhaltlich. Kämpfen, Brücken bauen, erklären, danken, um Unterstützung werben – das sind die Funktionen, die der Rede in der Presse zugeschrieben werden (z.B. hier). Die Rede hat bewegt – nicht nur zum Applaus, sondern auch zum Stimmungswechsel und womöglich gar zum Handeln. Nein, ich bin nicht zum CDU-Anhänger geworden. Aber ich bin ein Anhänger guter Reden als einer Form der Vermittlung, die besonderes Können verlangt. Zu Unrecht sind Reden und Zuhören in der Hochschuldidaktik unter die Räder gekommen – so meine Ansicht.

Was ja richtig ist: Es gibt – nach Studiengängen und Disziplinen unterschiedlich ausgeprägt – sicher zu viele Vorlesungen und ebenso sicher gibt es viel zu viele schlechte Vorlesungen. ABER: Aus der Beobachtung, dass es zu viele und zu viele schlechte Vorlesungen gibt, zu schließen, dass man generell nichts lernt, wenn andere sprechen, erscheint mir nicht zulässig. Bezeichnungen wie „pastorales Lehren“ werden gerne verwendet, um zu suggerieren, dass die Zeit der Reden an der Hochschule vorbei sei. Aber das ist zu einfach! Zugegeben: Zuhören ist anstrengend. Zuhören als ein aktiv-konstruktiver Vorgang mit dem Ziel, etwas zu verstehen, was jemand vermitteln will, fällt oft schwerer, als etwas zu lesen. Es fällt dann schwerer, wenn das, was man erzählt bekommt, besser gelesen werden kann. Das Blatt wendet sich, wenn Menschen zu einem sprechen, die etwas zu sagen haben, was man nicht besser lesen kann, und wenn sie das, was sie zu sagen haben, verständlich und in einer Form mitteilen, mit der sie einen in ihren Bann ziehen. Diese Form ist nicht eine Form, sondern kann sehr unterschiedlich sein – so unterschiedlich, wie es die Redner/innen sind. Es muss wohl vor allem authentisch sein (hilfreich zu diesem Begriff ist das Buch von Carolin Kreber: Authenticity in and through teaching in higher education). Nun bin ich kein Rhetoriker, aber aus didaktischer Sicht bin ich überzeugt davon, dass eine gezielte und im skizzierten Sinne authentische Form der Vermittlung in der Hochschullehre ein Potenzial hat, das aber, so meine Einschätzung, sehr oft genau nicht genutzt wird (es gibt zu dem Thema bereits einen älteren Text von 2009, der zeigt, dass mir die pauschale Abwertung von „Erzählen/Reden und Zuhören“ schon länger nicht behagt – siehe hier – sowie eine Auseinandersetzung zum mündlichen Erklären hier).

Vermittlung ist ein Thema in der Hochschuldidaktik, das zum Streit reizt und an manchen Stellen widersprüchliche Züge annimmt (siehe dazu auch hier). Nehmen wir nur die MOOC-Diskussion: Einerseits war die Verlockung groß, sich für MOOCs zu begeistern, weil man damit tausende wissbegierige Menschen erreichen könne, die nie im Hörsaal sitzen würden – Beifall von allen Seiten: Bildung für alle. Andererseits war auch das Entsetzen groß, wie leichtfertig man offenbar die schwer errungene Einsicht aufs Spiel setzt, dass Vorlesungen nichts bringen würden, weil sie doch die Studierenden zur Passivität verdammen. Wie geht das zusammen? Aber man muss gar nicht die digitalen Medien bemühen. Widersprüchlich ist denn auch die Gleichzeitigkeit der verbalen Ablehnung von Vorlesungen aufgrund von Wirkungslosigkeit auf der einen Seite und die weite Verbreitung, oft sogar Dominanz, von Vorlesungen auf der anderen Seite. Auch das geht an sich nicht zusammen.

Von daher plädiere ich für eine sachliche Diskussion und mehr Forschung zur Vermittlung in der Hochschullehre: Was kennzeichnet Formen der Vermittlung im Modus der Vorlesung, die beim Adressaten den Aufbau von Wissen unterstützen? Welche Unterschiede gibt es hier bei Anfänger/innen und Fortgeschrittenen? Welche Unterschiede und Gemeinsamkeiten finden sich zwischen den Disziplinen/Fächern? Und natürlich interessiert dann auch die Frage: Wie viel Vermittlung „verträgt“ man als Lernender? Wie kombiniert man die Vermittlung sinnvoll mit aktivierenden Formen der Lehre, die einen dazu anregen, sich mit Inhalten auf vielfältige Weise auseinanderzusetzen? Und wie begleitet man eben diese Formen der Aneignung als Lehrender in kleinen wie auch in großen Gruppen?

Natürlich sind das alle keine neuen Fragen. Es fällt mir nur immer wieder auf, wie reflexartig Vorlesungen (und andere Formen der Vermittlung durch Reden/Erzählen) als „old school“ bezeichnet werden, während an anderen Stellen unserer Gesellschaft genau diese „old school“ offenbar ganz anders wahrgenommen und genutzt wird – womit wir wieder bei Merkels Rede wäre. Angela Merkel hat da auf dem Parteitag keine aktivierenden Methoden zum Stimmungswechsel eingesetzt – sie hat einfach nur gut geredet – und das übrigens ohne lästige Präsentation im Hintergrund! Und eben diese Rede hat sehr wohl Wirkung gehabt. Und nein, ich will damit nicht sagen, dass man Wirkungen in der Politik so ohne weiteres mit Wirkungen in der Bildung gleichsetzen kann. Die pauschale Wirkungslosigkeit der Rede aber widerlegt dieses Beispiel aus der Politik allemal – und das ist auch für die Bildung mindestens interessant zum Weiterdenken.

2 Kommentare

  1. …und schon wieder ein interessanter Beitrag zum „Rhetorik-Thema“, den ich mit großem Interesse gelesen hab!
    Dein Beitrag bietet nämlich gleich eine ganze Reihe an Anknüpfungspunkten für mich zum „Weiterdenken“; vielen Dank dafür!
    Bevor ich das kann, muss ich aber erst ein paar theoretische Irritationen für mich klarkriegen, die ich hier mal teile:
    Worüber ich schon ein paar Mal gestolpert bin, ist bspw. die Unterscheidung von „inhaltlich“ und „rhetorisch“. Wenn ich dich richtig verstehe, siehst du die Aufgabe der Rhetorik darin, die „Form der Vermittlung“ in den Blick zu nehmen…
    Gute Rhetorik (d.h. die Kunst, Texte so zu inszenieren und darzustellen, dass sie überzeugen) braucht m.E. aber immer eine Verknüpfung von „Inhalt“ und „Form“. Die beiden Kategorien sind in dieser Perspektive eigentlich nicht sinnvoll voneinander zu trennen (wobei mich substanzwissenschaftliche Kategorien eh nicht überzeugen, aber das führt hier zu weit…).
    Die These, dass Rhetorik in der Didaktik einen großen Stellenwert einnimmt, teile ich voll und ganz. Ebenso deine Diagnose, dass in der Didaktik-Theorie eine Lücke besteht, die durch Rhetorik (die produktiv-konstruierende Seite der „Vermittlung“) und Lerntheorie (die rezeptiv-konstruierende Seite der „Vermittlung“ (?)) geschlossen werden kann.
    Aber Rhetorik verstehe ich dabei nicht als eine bestimmte Form oder Technik, um einen schriftlichen Text erfolgreich vorzutragen. (Dann könnte man Rhetorik daran messen, wie authentisch, stimmig, verständlich,… die Performanz war.) Viel sinnvoller ist es m.E. stattdessen, Rhetorik (übrigens in Übereinstimmung mit vielen älteren Theoriebeiträgen unter diesem Label, die z.T. ebenfalls etwas in Vergessenheit geraten sind) als eine Kunstlehre zu begreifen, mit der sich konkrete strategische (bspw.: didaktische) Zielsetzungen auf kommunikativem Weg erreichen lassen. Das ist ein ganz anderer Ansatz als der einer „Formalrhetorik“ oder „Eloquenzrhetorik“, den ich bei dir an manchen Stellen herauslese. Aber die Perspektive ist m.E. hilfreicher, wenn es darum geht, bspw. Strategien der zielgerichteten Wissenskonstruktion in Vorlesungen zu beschreiben, etwa, indem man nach dem Zusammenhang von didaktischen Zielen mit den Kommunikationsbedingungen fragt, Widerstände analysiert, Instrumente entwickelt/einsetzt, um diese zu überwinden etc.
    Man kann die rhetorische Seite, d.h. die strategisch-erfolgsorientierte Kommunikation von Botschaften dabei m.E. schon mit der Metapher des „Vermittelns“ beschreiben, wobei ich mich frage, ob dann nicht „Übermitteln“ denn Sinn eher trifft. Damit setzt man dann ein Transmissionsmodell von Kommunikation an und handelt sich gehörige Folgeprobleme ein, die ja z.T. auch in der oben verlinkten EWE-Forschungskooperation (Forschungsbilanz) angesprochen werden (Stichwörter: Linearität, Proportionalität und Transitivität kommunikativer Inputs, kybernetisches Wirkungsverständnis,…).
    Dein Plädoyer kann ich nur bekräftigen: mehr Forschung zu diesem Themenkomplex in der Hochschullehre! Aber nicht nur operational („welche und wie viele aktivierende Methoden sind angemessen?“), sondern auch meta-theoretisch („was meint Vermittlung?“, „wie lässt sich ein Wissenstransfer didaktisch modellieren?“, „wie definieren wir Kommunikation?“…)

  2. Lieber Tobias,
    das musst du Heiner Geißler fragen, was er mit der Unterscheidung meint 😉 „Heiner Geißlers Kommentar: Das sei die größte Rede gewesen, die Angela Merkel je gehalten habe – sowohl rhetorisch als auch inhaltlich. “ (das war also ein indirektes Zitat)
    Ich habe von dir langsam gelernt, dass diese Unterscheidung nicht so sinnvoll ist, aber offenbar ist sie sehr verbreitet.
    Ich denke, dass hier die Erkenntnisse/Thesen/Theorien der Rhetorik gut mit der Didaktik zu verbinden sind, denn auch da sind „Formen“ – gemeint als Lehr-Lern-Szenarien und einzelne Lehr-Lern-Methoden- natürlich immer nur sinnvoll auszuwählen und/oder zu gestalten vor dem Hintergrund von Zielen, Zielgruppe, Rahmenbedingungen – und das gilt auch für den speziellen Bereich des Vermittelns.
    Da ich mich noch nicht viel über Rhetorik ausgelassen habe (u.a. weil darüber zu wenig weiß) liest du vermutlich aus Ausführungen zur Vermittlung (also einer Form des Lehrens, die beim Lernenden rezeptiv-konstruktive Prozesse auslösen will) das heraus, was du schreibst. Ich denke aber, das lässt sich nicht gleichsetzen. Hier sehe ich aber auch die Herausforderung: Wo können sich psychologische (bezogen auf das Lernen) pädagogische (bezogen auf das Lehren) und rhetorische Denkweisen, Traditionen, Theorie-Linien aufeinander bezogen, komplementär verwenden usw.