Vor einiger Zeit habe ich das Buch „Allgemeine Didaktik. Ein erziehungstheoretischer Umriss“ von Rotraud Coriand gelesen (Kohlhammer Verlag 2015). Von besonderem Interesse war für mich, wie die Autorin die Allgemeine Didaktik konzipiert und in den erziehungs- und bildungswissenschaftlichen Gesamtzusammenhang einordnet, denn: Auch die Hochschuldidaktik ist in weiten Teilen eine allgemeine Didaktik; die Auseinandersetzung mit eben dieser scheint mir daher ganz besonderes wichtig zu sein.
Vorweg: Das Buch fällt aus dem Rahmen im Vergleich zu anderen Büchern zur Allgemeinen Didaktik (z.B. das von Kron oder von Terhart). Coriand – das zeigt ein Blick in das Publikationsverzeichnis – ist Expertin für Johann Friedrich Herbart und leitet auch ihre Vorstellungen von Allgemeiner Didaktik aus dieser für die Pädagogik wichtigen historischen Person und ihren „Schülern“ ab. Hängen geblieben bin ich vor allem bei einem dieser Schüler, nämlich bei Otto Willmann (1839-1920).
Willmann argumentiert stellenweise ähnlich wie Klaus Prange (in seiner operativen Pädagogik) und versteht aber vor allem die Didaktik als eine eigenständige Bildungswissenschaft. Für die Hochschuldidaktik ist dieser historische Vorstoß interessant, weil eine Eingliederung in die Erziehungswissenschaft an vielen Stellen immer noch Probleme bereitet. Willmann untersuchte zu seiner Zeit auch schon die Beziehung der Allgemeinen Didaktik zu den Fachwissenschaften und Fachdidaktiken und bemühte sich darum, eine individuelle und eine soziale Sicht auf das Verhältnis von Lehren und Lernen (= Gegenstand der Didaktik) zu etablieren. Die Inhalte der Didaktik als Wissenschaft sind laut Willmann (a) die Prinzipien der Inhaltsauswahl und -verbindung, (b) die sachlogische Strukturierung des Lernprozesses und (c) die Art und Weise der Vermittlung (Coriand, 2015, S. 29 f.); als Ziel gehe es am Ende vor allem darum, das Denken zu lehren. Laut Coriand eröffnet Willmanns Ansatz einen Weg aus der schulpädagogischen Engführung hin zu einer Allgemeinen Didaktik im eigentlichen Sinne. Und eine solche sei auch dringend nötig. So gesehen kann man Willmann als eine Art Begründer der Hochschuldidaktik sehen, zumal da er auch für eine Verbindung von Forschungsmethoden und Lehrmethoden plädierte (und das Anfang des 20. Jahrhunderts).
Was ist noch über das Buch zu sagen? Coriand strukturiert es nach einführenden Kapiteln anhand von drei Ebenen der Theoriebildung in Anlehnung an Erich Weniger, wobei keine der Ebenen theoriefrei existiere: Theorien ersten Grades umfassen die subjektiven, persönlichen Theorien, die jemand hat, um praktische pädagogische Anforderungen zu bewältigen. Theorien zweiten Grades haben Konzeptcharakter und umfassen entsprechend auch Einsichten, Regeln, Erfahrungssätze. Theorien dritten Grades sind – um es plakativ zu sagen – Theorien des Theoretikers. Mir kommt diese Einteilung ähnlich vor wie Flechsigs Unterscheidung von Praxisbeschreibungen (Theorien ersten Grades), Unterrichtsmodelle (Theorien zweiten Grades) und Kategorial-Modelle (Theorien dritten Grades).
Was Coriands Buch aus meiner Sicht vorrangig lesenswert macht, ist der Versuch einer Emanzipation der (Allgemeinen) Didaktik als einer eigenen Wissenschaft. Auch wenn sie nicht so weit wie Willmann zu gehen scheint, plädiert sie doch ganz deutlich für eine Befreiung der Didaktik aus den Fängen der Schulpädagogik. Mir persönlich ist Willmanns weitergehendes Konzept sehr sympathisch, scheint es mir doch gerade für die Hochschuldidaktik ein geeignetes Vorbild zu sein.
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