In schöner Regelmäßigkeit kann man in wissenschaftlichen wie populärwissenschaftlichen Texten lesen, dass und warum das Wissenschaftssystem mit seinen bewährten Formen des Peer Review an seine Grenzen gerät. Im duz Magazin (06/17) war es hier Ende Juni mal wieder so weit. Anlass war vermutlich die Ankündigung des Wissenschaftsrats, im Herbst Peer-Review-Empfehlungen zu geben.
Die These des Artikels ist: „Es wird viel zu viel publiziert: Immer mehr Forschungsmanuskripte werden bei Fachzeitschriften eingereicht, sodass immer mehr Gutachten erstellt und immer mehr Ablehnungen ausgesprochen werden müssen – was zu noch mehr Anträgen führt.“ Auch wenn es bei dieser Formulierung nicht ganz klar ist, gehe ich jetzt mal davon aus, dass man den Satz sowohl auf klassische Publikationen als auch auf Forschungsanträge beziehen kann. Jedenfalls kann ich diese Feststellung bestätigen: Wenn ich mir allein nur die letzten 12 Monate anschaue, dann habe ich zum Anteil der Ablehnung von Anträgen auf jeden Fall schon mal ausgiebig beigetragen. Ja, ich weiß: Darüber spricht man an sich nicht, denn der gewissenhafte Wissenschaftler hat stets ausreichend Selbstzweifel, um nach dem ersten Ärger am Ende doch (wieder) zu vermuten, dass es allein an der Qualität der gestellten Anträge gelegen hat. Oder doch nicht? Beiträge wie der genannte von Pascale Anja Dannenberg helfen bei der Rettung des Selbstkonzepts. Die Verfasserin hat sich bei der Vorsitzenden des Wissenschaftsrats, einzelnen Wissenschaftlern und Wissenschaftsmanagern schlau gemacht und kommt zu dem Schluss, dass wir im Wissenschaftsbetrieb generell zu viel zu schnell und zu wettbewerbsgetrieben „produzieren“. Im Kern aber konzentriert sich der Beitrag auf die Frage, was man dagegen tun könnte.
Die gesammelten Vorschläge gehen allerdings bei genauem Hinsehen ganz verschiedene Probleme an: Honorare und mehr Wertschätzung für Gutachter etwa könnte eine Maßnahme sein, um die Qualität von Gutachten zu erhöhen; gegen die Flut an Anträgen und Veröffentlichungen richtet das sicher nichts aus. Den Zufall entscheiden zu lassen, dürfte ebenfalls nur eine mögliche Maßnahme sein, um einseitige Auswahlprozesse zu reduzieren und die Chance auf Vielfalt zu erhöhen, nicht aber, um das Rattenrennen in der Wissenschaft einzuschränken. Das gilt ebenso für Alternativen zu bibliometrischen Systemen, sog. Altmetriken, mit denen man die Nutzung (Downloads, Verlinkungen, Likes, Referenzierungen etc.) im Internet misst. Allein der Hinweis auf eine bessere Grundfinanzierung der Universitäten packt das Übel zumindest an einigen seiner Wurzeln, weil dies grundsätzlich die Notwendigkeit ständiger und hoher Drittmittelsummen senken würde.
Der Beitrag stellt also hauptsächlich Symptombekämpfungen zusammen, die allesamt interessant sind, aber nichts ändern an dem Kreislauf „Suche nach Anerkennung und Drittmitteln – massenweise Publikationen und Anträge – immer mehr und potenziell schlechtere oder weniger aussagekräftige Gutachten – steigende Ablehnungsquoten und nicht nachvollziehbare Ablehnungen – (gefühlter) Verlust an Wertschätzung und verfügbaren Mitteln – noch mehr Suche nach Anerkennung und Drittmitteln usw. usw.“.
Wenn ich darüber nachdenke, was ich alles in der Zeit hätte tun können, die ich bereits für die vergebliche Beantragung von Drittmitteln investiert habe, dann kommt bei mir zunehmend ein Gefühl von Ratlosigkeit auf: Soll man es einfach sein lassen und die Zeit in gute Lehre und wirklich gute Publikationen (versus Antragsprosa) stecken? Nicht wenige erwägen eher im Gegenteil „professionelle Hilfe“ bei der Antragstellung und investieren nicht nur die eigene Zeit und die ihrer Mitarbeiter, sondern inzwischen auch finanzielle Mittel, um im Wettbewerb um knappe Ressourcen zum Zug zu kommen. Es soll auch Wissenschaftler geben, die es mal mit Crowdfunding versucht haben (na ja, das funktioniert vielleicht bei Stromberg-Filmen – aber in der Hochschulbildungsforschung?). Oder doch weitermachen, um sich nicht nachsagen lassen zu müssen, man hätte es nicht wenigstens versucht? Manche Fakultäten dokumentieren inzwischen schon die Versuche, um ihren Hochschulleitungen zu zeigen: Schaut her, wir sind nicht faul, sondern einfach nur noch nicht erfolgreich. Ich verstehe das und irgendwie mag es auch mit Anerkennung zu tun haben, aber mal ehrlich – das ist doch Wahnsinn, oder? Wo sind die Volkswirtschaftler, die mal ausrechnen, wie viel Geld wir eigentlich in diesem System auf diese Weise jeden Tag aufs Neue vernichten (von der Motivation mal ganz zu schweigen)?