Gabi Reinmann

Hochschuldidaktik

Tagungen und Begrenzungen

Wie wichtig sind für mich und meine Arbeit Tagungen und Konferenzen verschiedenster Art? Ich sehe einerseits die Vorzüge deutlich: Es gibt die Möglichkeit zum Austausch und zur Kommunikation, man kann Kontakte knüpfen und pflegen, ab und zu neue Formen der Präsentation und Aktivierung kennenlernen, und wenn man Glück hat, nimmt man auch etwas Neues oder inspirierende Gedanken mit. Andererseits fühle ich mich nach einer Tagung eher selten so richtig zufrieden und bereichert. Wie kommt das?

Die Lehr-Lernkonferenz des Stifterverbands (hier meine Assoziationen im Vorfeld: da findet sich auch der Link zum Programm) war gut organisiert und abwechslungsreich gestaltet; es wurde auch der Ars Legendi-Preis verliehen – mit geschmackvoller musikalischer Umrahmung und einer studentischen Laudatio, die weitgehend dem entsprach, wie ich es kürzlich (hier) bei einer Art Verteidigung personenbezogener Lehrpreise (neben anderen Formen der Förderung der Lehre) mal erwähnt habe. Also: Man kann es sicher nicht besser machen, es wäre unsinnig und auch unfair, hier etwas zu kritisieren. Fakt ist auch, dass ich in der Tat einige Impulse mitnehme, über die ich weiter nachdenken werde. Warum sich die leisen Zweifel am Sinn meiner Teilnahme an diesen Veranstaltungen trotzdem wieder melden, hat vermutlich vor allem strukturelle Gründe: Zum einen trifft man auf Veranstaltungen zum Thema Hochschullehre tendenziell immer einen zumindest ähnlichen Kreis von Personen (freilich mit einigen Abwandlungen) und da frage ich mich dann schon: Wie kommt das? Was läuft offenbar schief bei den Versuchen, die Lehre tatsächlich aufzuwerten – denn davon muss man ja ausgehen, wenn sich der Kreis nicht deutlich erweitert? Zum anderen ist es natürlich etwas Anderes, wenn man mit seinen Fragen und Interessen als lehrender Fachwissenschaftler (außerhalb der Hochschuldidaktik) eine solche Veranstaltung besucht oder als Wissenschaftler, der die Hochschullehre beforscht bzw. für den die Hochschuldidaktik die eigene Disziplin ist: Viele Tagungen der Art wie die Lehr-Lernkonferenz sind mit Sicherheit eine große Bereicherung für die engagierten lehrenden Fachwissenschaftlerinnen, aber eben in punkto Neuigkeit nicht zwingend für den forschenden Hochschuldidaktiker.

Nichtsdestotrotz ist eben dieses Zusammentreffen freilich wichtig, aber man müsste das gegebenenfalls expliziter gestalten – also den Dialog zwischen denen, die sich mit Hochschullehre primär forschend beschäftigen (daneben natürlich auch selber lehren) und denen, für die das Feld vorrangig eine Praxis ist. Ein Teilnehmer in einem Workshop zu Scholarship of Teaching and Learning (SoTL) merkte zu Recht an: Wir bräuchten mehr Tandems von Fachwissenschaftlern und Hochschuldidaktikern – aber eben nicht nur für SoTL, sondern vielleicht auch für solche bzw. auf solchen Tagungen.

Die beiden Keynotes haben interessante Themen aufgegriffen, die mich unter anderem zur Teilnahme motiviert hatten. Dem ersten Vortrag von Maria do Mar Castro Varela konnte ich allerdings nicht in allen Punkten folgen: Eurozentrismus und zu viele tradierte Inhalte in akademischen Curricula mit gleichzeitig zu wenig Offenheit für Themen und Forschungsfelder auf anderen Gebieten unserer Erde – das leuchtet in jedem Fall ein und regt zum Nachdenken an. Mehrmals erwähnte die Rednerin selbst, dass man ihr bzw. ihrer wissenschaftlichen Richtung gerne Ideologie vorwerfe; leider hatte ich stellenweise auch das Gefühl, dass da nicht alle Größen der Wissenschaftsgeschichte – von Kant bis Adorno – mit dem gleichen Maß beurteilt bzw. verurteilt werden. Ich war ein wenig hin- und hergerissen zwischen rhetorisch gut gemachten Passagen und recht oberlehrerhaften Botschaften. Vom zweiten Vortrag war ich persönlich etwas enttäuscht, weil ich nichts Neues gehört habe, und vermutlich hatte ich genau das (warum auch immer) erhofft. Mandy Singer-Brodowski sprach über transformative Wissenschaft und transformative Hochschullehre. Ich habe zuhause auf meinem Schreibtisch den in diesem Vortrag erwähnten Leitfaden zur Nachhaltigkeit in der Hochschullehre liegen, den ich auch begonnen habe zu lesen, und im Prinzip deckte sich das mit dem Vortrag weitgehend (leider wird der Didaktik-Begriff in diesem Leitfaden abenteuerlich verwendet – ein Phänomen, das man gehäuft beobachten kann in Feldern, welche die Didaktik entdecken, aber keinen Didaktiker hinzuziehen).

Den Workshop zu SoTL habe ich schon kurz erwähnt: Die beiden Referentinnen haben das derzeit laufende „Lang-Programm“ für ihre Scholars of Teaching vorgestellt (hier die Web-Präsenz), woran sich eine interessante Diskussion anschloss. Dazu aber, weil es mir sehr wichtig erscheint und uns am HUL auch bewegt, ein anderes Mal mehr. Den zweiten Workshop habe ich besucht, um mal wieder Johannes Wildt zu erleben und zu erfahren, warum wir jetzt unbedingt den Begriff des „transformativen Lernens“ brauchen und nicht den Bildungsbergriff nutzen können. Eine Antwort habe ich nicht gefunden, sondern nur ein für mich nicht überzeugende Anwendung von Ludwig Hubers Spannungsdreieck zwischen Wissenschaft, Person und Praxis. Dieser Workshop lief mit drei Projektvorstellungen etwas aus dem Ruder – aber gut, das kann passieren, und Einblicke in originelle Projekte hat man allemal bekommen.

Was gibt es noch zu berichten? Die beiden Organisatoren aus dem Kreis der „Fellows“ hatten zum Start in Anlehnung an eine dänische Idee ein „Gaming with teaching philosophies“ organisiert. Etwas konfus instruiert (aber das geht mir bisweilen selber so, dass ich mir schwertue, den Kern einer interaktiven Übung prägnant rüberzubringen) hat die gemeinsame und persönliche Einschätzung der verschiedenen „Überzeugungen“ zur Hochschullehre die am Tisch Sitzenden (statt Stuhlreichen gab es durchgehend Gruppentische) gut in Kontakt gebracht. Erst war ich etwas skeptisch, zumal da ich nicht verstanden hatte, woher denn jetzt diese „Philosophien“ kommen (ich denke, das müsste man genauer erklären), aber das Verfahren erscheint mir durchaus dazu geeignet, Hochschullehrerinnen miteinander ins Gespräch zu bringen und Fragen, Probleme, Chancen etc. zu thematisieren, über die man sonst nicht so oft spricht. Beeindruckt hat mich schließlich Ulla Gläßer – Rechtswissenschaftlerin mit einem Schwerpunkt auf Mediation: Sie hat auf sympathische Art und Weise ein „Intermezzo“ nach der Mittagspause übernommen und über das Thema Bewegung unter anderem auf latente Koordinierungsmuster und Möglichkeiten sowie Grenzen des Multitasking hingewiesen. Mich hat mehr als Wie denn das Was angesprochen, denn: So etwas umzusetzen, ist in akademischen Kreisen schwer und schon ein Balanceakt, weil es schnell ins Alberne kippen kann – aber genau das hat Ulla Gläßer überzeugend hinbekommen.

Na ja, vielleicht habe ich ja doch mehr mitgenommen, als ich zunächst dachte – wenn ich das so Revue passieren lasse und aufschreibe :-). Trotzdem: Ich denke, alles in allem ist es sinnvoll und vielleicht sogar notwendig, möglichst dosiert wenige Tagungen zu besuchen, dann aber aufmerksam zu sein, denn: Lebenszeit und damit auch die für Wissenschaft verfügbare Zeit ist einfach begrenzt.

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