„E-Learning. Theorien, Gestaltungsempfehlungen und Forschung“ – so lautet eine Neuerscheinung beim Huber Verlag von einem jungen Psychologen: Dr. Günter Daniel Rey. Das Buch ist – würde ich jetzt mal sagen – ein Lehrwerk und widmet sich den psychologischen Grundlagen des E-Learning – übrigens ohne viel Aufhebens um den Begriff „E-Learning“ und dessen Definition zu machen. Zum Buch gibt es auch eine Web-Seite, nämlich hier, auf der sich zwar nicht alle Inhalte aus dem Buch, aber immerhin eine ganze Menge informativer Überblicke wie auch Details zu verschiedenen psychologischen Begriffen und Konzepten rund um das Lernen mit digitalen Medien finden. Auch ausführlichere Informationen über die (experimental-)psychologische Forschung findet man sowohl im Buch als auch auf der Web-Seite. Beides (also Buch und Web-Seite) ist systematisch aufgebaut; was ich bisher gelesen habe, ist verständlich und verweist auf klassische wie auch aktuelle psychologische Literatur. So weit so gut: Ich freue mich, auf das Buch (nach Zusendung) gestoßen (worden) zu sein und werde es sicher nutzen und zu bestimmten Zwecken auch empfehlen.
Aber: Man mache mal einen kleinen Versuch und lege das Autorenverzeichnis des diesjährigen GMW-Tagungsbandes neben das Literaturverzeichnis (hier) von Reys Buch. Und, was stellt man da fest? Kein Apostolopoulos, kein Baumgartner, auch keine Bachmann und Bremer, kein Schulmeister, kein Wolf – nichts! Auch kein Mandl (obschon Psychologe), aber – Gratulation! – immerhin einmal Kerres (Web 2.0). Jeder möge aber gerne weitersuchen … EIN Thema, ZWEI Lager, wie sie getrennter nicht sein könnten.
Nun könnte man ja sagen: Das ist halt die psychologische Seite des E-Learning und die anderen … na ja, vielleicht bilden die dann eben die pädagogische und die informationstechnische Seite. Aber das wäre wohl eine Ausrede, denn: Natürlich brauchen WIR auch die psychologischen Grundlagen und viele Beiträge in den GMW-Tagungsbänden zitieren auch psychologische Literatur, wie man sie in Reys Buch findet. Aber die pädagogisch-didaktischen, die informationstechnischen, auch soziologischen Erkenntnisse – die braucht man in der Psychologie nicht, wenn es um E-Learning und immerhin auch um Gestaltungsempfehlungen geht? Wirklich nicht? Ich finde es schade, wie dick die Mauer ist, die es hier offenbar gibt. Ich komme selbst aus der Psychologie und weiß meine Ausbildung (Diplom) sehr zu schätzen. Aber diese so offensichtliche Lagerbildung begreife ich einfach nicht, wenn es uns doch darum gehen sollte, das Lernen und Lehren mit digitalen Medien mit unseren Erkenntnissen besser zu verstehen und damit auch besser zu unterstützen. Wäre das nicht Anlass genug, voneinander Kenntnis zu nehmen? Wie an anderen Stellen schon formuliert, habe ich natürlich eine Thesen, warum das so schwierig ist: Erkenntnistheoretische und methodische Differenzen zwischen diesen beiden Lagern in der BIldungsforschung dürften hier eine ganz wesentliche Rolle spielen.
9. Oktober 2009 um 08:42
Liebe Gabi
Den gleichen Versuch hättest du aber auch mit Medienpädagogik und E-Learning machen können: auf der einen Seite Autoren wie Tulodziecki, Baacke, Aufenanger oder Schorb, auf der anderen Seite unsere „altbekannten“ – auch hier gibt es zwei unterschiedliche Lager, die sich sogar, so meine These, im bereich der Erkenntnistheorie und Methodik näher sind als Psychologen.
Auch hier gilt es noch, Gräben zu überwinden 😉
9. Oktober 2009 um 09:38
Stimmt, Mandy, da hast du (fast) recht: Ich habe aber den Eindruck, dass sich da die Gräben ein wenig verkleinern – dank des Themas Lernen und Lehren mit digitalen Medien. Aber wie viel davon nur subjektive Eindrücke und Erfahrungen sind und was faktisch ist, wage ich jetzt nicht zu beurteilen.
Gabi
9. Oktober 2009 um 09:46
hallo Gabi,
bin vor kurzem zu ganz ähnlicher Einschätzung gekommen (http://www.e-teaching.org/news/eteaching_blog/et_showEntries?permalink=1253874556). Solch „Lagerdenken“ finde ich nicht mal an unserem Institut, an dem es ja nun überwiegend Psychologen gibt. Da Reys Werk als Lehrbuch vermarktet wird, fördert er eher das Zementierens denn das Aufweichen von Lagergrenzen.
16. Oktober 2009 um 13:30
Liebe Frau Reinmann,
ich habe kürzlich Ihre Rezension meines Buches in Ihrem Weblog e-Denkarium entdeckt. Zunächst besten Dank für die – wie ich finde – äußerst gelungene Buchbesprechung. Ich freue mich sehr, dass Ihnen der Aufbau des Buches gefällt, Ihnen der bisher gelesene Text verständlich erscheint und Sie das Buch verwenden und weiterempfehlen wollen.
Ihre grundsätzliche Kritik, dass die pädagogische und informationstechnische Seite in meinem Buch noch nicht hinreichend abgedeckt seien, halte ich für absolut berechtigt. Auch Ihrer Anmerkung, dass die „Lager“ zum Thema E-Learning strikt getrennt seien, stimme ich zu. Ich würde sogar noch weitergehen und nicht von zwei Lagern sprechen, sondern von zahlreichen Wissenschaftsbereichen, die sich zwar alle mit dem Thema E-Learning befassen, jedoch oft kaum gegenseitig Bezug nehmen. Beispielsweise ist hier der Wissensaustausch von Informatikern und Psychologen zu nennen, der leider nur punktuell stattfindet. Die Informatik ist dabei nur ein weiteres „Lager“, welches sich mit E-Learning beschäftigt. Und auch innerhalb eines Lagers ist der gegenseitige Bezug häufig erstaunlich gering. Nehmen Sie nur die Psychologie als Beispiel. Häufig forschen Medienpsychologen, Psychologen aus der Pädagogischen Psychologie, der ABO-Psychologie und der Allgemeinen Psychologie relativ losgelöst voneinander an ganz ähnlichen Bereichen zum Thema „Lernen mit digitalen Medien“. Das Problem der unzureichenden intra- und interdisziplinären Zusammenarbeit ist aber sicherlich nicht auf das Thema E-Learning beschränkt, sondern vermutlich in der heutigen Wissenschaft allgegenwärtig anzutreffen.
Mutmaßlich sind zahlreiche Ursachen für dieses generelle Problem verantwortlich. Neben unterschiedlichen methodischen Zugängen, einer unterschiedlichen Sprache für dieselben bzw. ähnliche Konzepte sowie die schlichte Unkenntnis über die relevante Literatur aus benachbarten Disziplinen ist wohl auch die Menge an Literatur zu nennen, die es in unserer heutigen, aufgefächerten Wissenschaft nicht mehr erlaubt, „alles gelesen zu haben“. Zudem ist leider auch mikropolitisches Handeln als Ursache aufzuführen, wo z.B. eine Abgrenzung zu anderen Disziplinen/Arbeitskreisen/Kollegen bewusst vorgenommen wird, um den Zugriff auf Fördergelder alleine zu behalten.
Ich will aber nicht klagen, sondern stattdessen versuchen, einen bescheidenen Beitrag zur Verknüpfung verschiedener Wissenschaftsdisziplinen zu leisten und habe in diesem Zusammenhang eine Bitte an Sie, Frau Reinmann: Sie haben ja bereits einige Forschernamen genannt, die ich bisher noch nicht oder nur teilweise berücksichtigt habe. Könnten Sie mir darüber hinaus Quellen nennen, die ich vielleicht für die nächste Auflage (dauert noch etwas, aber man kann ja nicht früh genug damit anfangen) des E-Learning Buches sowie der dazugehörigen Webseite verwenden sollte? Ich muss einfach zugeben, dass mir die Literatur außerhalb der Psychologie zum Teil noch unbekannt ist (und ich darüber hinaus beim Lesen der psychologischen Literatur bisher bereits mehr als ausgelastet war).
Für weit wichtiger als die Berücksichtigung zusätzlicher Literatur halte ich allerdings die Beachtung weiterer Konzepte und Ideen. Nicht jede unbeachtete Literaturquelle beinhaltet zwingend ein neues Konzept oder einen neuen Ansatz. Ich will dies an einem Beispiel verdeutlichen: Ich stelle in meinem Buch und auf der Webseite den sogenannten Variabilitätseffekt vor (vgl. auch das „shuffled format“ z.B. bei Rohrer und Taylor, 2007). Dieser Effekt lässt sich sowohl auf Basis der Cognitive Load Theorie als auch auf Grundlage der kognitiven Flexibilitätstheorie begründen. Selbstverständlich hätte ich auch noch Quellen zum Vier-Komponenten-Instruktiosdesign-Modell (4C/ID) heranziehen können oder andere Quellen, mit denen ich den Variabilitätseffekt theoretisch begründen könnte – möglicherweise aber ohne zusätzlichen Erkenntnisgewinn. Kurzum, ich interessiere mich vor allem für weitere Arbeiten, die neue Konzepte und Ideen beinhalten und empirisch überprüfen, die ich in meinem E-Learning Buch bisher nicht oder zumindest nicht hinreichend aufgegriffen habe.
Günter Daniel Rey
17. Oktober 2009 um 09:10
Lieber Herr Rey,
zunächst einmal freue ich mich sehr, dass Sie sich bereit erklärt haben, unseren E-Mail-Austausch anlässlich meines Blog-Beitrags zu Ihrem Buch in den öffentlichen Raum zu verlegen. 🙂 Ich bin mir sicher, dass es einige interessierte Leser geben wird und ich ich sehe es als große Chance, dass die aktuelle und nächste Wissenschaftler-Generation phänomenbezogen (hier gemeint: das Lernen mit digitalen Medien) disziplinäre Hürden besser überwindet als frühere! Ihr Hinweis, dass es auf diesem Themengebiet weitere Lager gibt, ist richtig! Was die Informatik betrifft, so gibt es seit längerem erfreuliche Annäherungen. Ich verweise nur auf die diesjährige gemeinsame Tagung der GMW und der DeLFI in Berlin. Hier sehe ich übrigens auch eine Fundgrube für Autoren und Konzepte, mit denen sich die psychologischen Arbeiten zum E-Learning ergänzen lassen. Die beiden letzten GMW-Bände sind sogar online abzurufen:
http://www.waxmann.com/kat/inhalt/2058Volltext.pdf
http://www.waxmann-verlag.de/fileadmin/media/zusatztexte/2199Volltext.pdf
Interdisziplinäre bestückt ist auch das neuen Handbuch „Online-Lernen“ herausgegeben von Issing und Klimsa. Bevor ich aber weitere aufzähle, verweise ich an der Stelle besser auf eine kleine Übersicht, die Jochen Robes angefertigt hat:
http://www.weiterbildungsblog.de/2009/05/22/unsere-e-learning-klassiker/
Ich gebe Ihnen recht: Namen und Bücher allein, darauf kommt es nicht an. Interessanter ist die Frage, welche anderen Konzepte, vor allem aber auch Auffassungen zu Wissenschaft im Allgemeinen und zu Forschungsmethoden im Besonderen hier aufeinanderprallen. Da aber wird es kompliziert, das lässt sich wohl nicht so einfach aus dem Ärmel schütteln: Ich verweise daher auf einen Beitrag von mir, weil mir dieses Thema besonders am Herzen liegt: http://medienpaedagogik.phil.uni-augsburg.de/denkarium/wp-content/uploads/2009/01/bildungsforschung_preprint_jan09.pdf
Gabi Reinmann
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