Ich möchte eine kleine Ankündigung zum nächsten Doktorandenkolloquium machen: Neben Silvia wird am 04.06.2010 Christian Kohls (der bereits beim ersten Münchener Termin bei uns zu Besuch war) einen Gastvortrag zu seinem wissenschaftlichen Arbeitsschwerpunkt halten (hier der Kolloqiumszeitplan). Der Titel lautet: „Entwurfsmuster für die Gestaltung von Unterrichtsrealität.
Christians Abstract
„Unterrichtsgeschehen ist in der Regel komplex, vielschichtig und von verschiedenen Einflussfaktoren der jeweiligen Situation abhängig. Zur Erfassung von Regelmäßigkeiten guter Praktiken im Unterricht bedarf es daher einer Herangehensweise, die diese Komplexität reduziert ohne die Vielseitigkeit und Anpassbarkeit an konkrete Kontexte zu zerstören. Entwurfsmuster erfassen nicht nur ganzheitliche Bestandteile des Unterrichts (Szenarien, Methoden, Werkzeuge, Medienformen) sondern bereiten sie in einem Format auf, das die Übertragbarkeit auf neue Unterrichtssituationen und deren Gestaltung ermöglicht. Wesentlich ist daher nicht nur die Beschreibung der Form, sondern auch Nennung der passenden Kontexte, Situationen und Umwelten in denen diese Form angemessen, d.h. zum Ziel führend, ist. Diese Bewertung der Angemessenheit erfordert eine Begründung für die Gestaltungsform, d.h. eine Erörterung welche Einflussfaktoren eine bestimmte Vorgehensweise erforderlich oder zumindest brauchbar machen. Die Übertragbarkeit auf neue Unterrichtssituationen und die damit verbundene Forderung nach Umsetzbarkeit macht es zudem erforderlich, dass eine Entwurfsmusterbeschreibung weder zu abstrakt noch zu konkret ist. Abstrakte Modelle geben zu wenig Struktur vor wenn Allgemeinheit zu Beliebigkeit und damit zu Bedeutungslosigkeit wird. Rezeptartige Anleitungen, die keine Freiräume lassen, sind auf der anderen Seite nicht mehr geeignet den variablen Gegebenheiten von Lehr-/Lernsituationen gerecht zu werden. Die Herausforderung besteht demnach darin, Muster zu finden und zu erklären, die sowohl gestalthaftig als auch gestaltbar sind. Aus dieser Forderung leiten sich erkenntnistheoretische Fragestellungen für die Bildungsforschung ab, die in diesem Vortrag aufgegriffen werden.“
Ich persönlich sehe ja immer noch nicht so recht das wirklich Neue am Entwurfsmusteransatz, wenn man es mal aus einer didaktischen Perspektive betrachtet, aber wahrscheinlich nervt mich manche in diesem Umfeld anzutreffende esoterisch angehauchte Literatur (mit Stichworten wie „lebende Strukturen“, „Ganzheitlichkeit“, „Lebenseigenschaften“ u.ä.) zu sehr, sodass ich mich noch nicht ausreichend und ernsthaft genug damit beschäftigt habe. Doch ich bin ja lernfähig (hoffentlich) und daher sehr froh um unseren Gatsvortrag am Freitag. Zwischen Silvias Dissertationsplänen (zum Thema Assessment) und Christians inzwischen mehrjährigen Entwurfsmusterarbeiten gibt es zudem einige Verbindungslinien, sodass ich mich auf einen diskursreichen „Master-Nachmittag“ freue. Sollte jemand Interesse haben, dazuzukommen, bitte eine kurze Mail an mich. Wir freuen uns immer über Gäste.
30. Mai 2010 um 12:17
Liebe Gabi,
das ist eine klare Ansage: Du fragst provokant nach dem Neuen im Musteransatz und gibst zu verstehen, dass dich Begriffe wie „Ganzheit“ nicht nur nicht weiter bringen, sondern sogar nerven! Ha, das wird ein spannender Nachmittag.
Man kann sogar so weit gehen, dass deine persönliche Fußnote etwas sehr generelles enthält. Nämlich den paradigmatischen Streit zwischen dem geisteswissenschaftlichen Lager (=> Leben, Ganzheit, Einmaligkeit etc.)und dem naturwissenschaftlichen Lager. Psychologen sitzen ja irgendwie „dazwischen“ ;-). Vielleicht bringt uns der didaktische Musteransatz auf neue Ideen. Frank
30. Mai 2010 um 16:58
Christian Kohls Abstract liest sich, als gäbe es gar keine Chance Entwurfsmuster empirisch zu prüfen. Eine gute Musterbeschreibung ist zwar eine notwendige Voraussetzung, das Wissen um eine Problemlösung anderen nutzbar zu machen, aber ist damit allein schon das gesteckte Ziel (die Lösung eines Problems oder der Erfolg beim Lernen?) erreicht?
Anders gefragt: Wird eine Problemlösung nicht erst durch mehrmalige erfolgreiche Anwendung zum Muster? Damit ist ein Muster nicht bedeutungslos. Den Nachweis der flexiblen Anwendbarkeit kann man doch durch die Anwendung in verschiedenen Domänen / Szenarien / … belegen.
Braucht es also den Alexandrinischen Glauben und die Esoterik?
30. Mai 2010 um 17:34
Hallo Niels,
würden Abstracts schon Vorträge und Diskussionen ersetzen, würden wir uns viel Zeit sparen, aber wohl auch niemals weiterkommen. Folglich gilt es, den kommenden Freitag, Christians Vortrag und das abzuwarten, was wir hoffentlich schon mal im Gespräch daraus machen können. 🙂
Gabi
30. Mai 2010 um 19:49
Hallo Gabi,
auf den Vortrag und die Diskussion bzw. das, was davon seinen Weg ins WWW findet, bin ich schon gespannt. Da ich am Freitag leider den Weg nicht antreten kann, wollte hier schon einmal eine Vordiskussion einläuten – also meine Meinung im Vorfeld beisteuern.
–niels
30. Mai 2010 um 20:54
Ja, natürlich – kein Problem. Ich seh mal zu, dass wir ein Audio auf die Beine stellen.
Gabi
1. Juni 2010 um 10:01
da wäre ich ja gern dabei, denn das Thema Entwurfsmuster treibt mich derzeit auch um (u.a. in Zusammenarbeit mit Christian!). Deine Kennzeichnung „esoterisch angehaucht“ fand ich nicht so falsch 😉 Ich versuche als notorischer Praktiker gerade die Unterschiede zwischen Methoden und Entwurfsmustern herauszufinden (deine Frage nach dem „wirklich Neuen“). Der Artikel wird zunächst in englisch sein, aber ich mach mal ne deutsche Fassung draus – allerdings zu spät für euren Termin. Bin deshalb auch an Doku eures Treffens im Web stark interessiert!
Gruß, Joachiim
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1. Juni 2010 um 15:57
ich vermute, dass die Bezeichnung „Entwurfsmuster“ letztlich auch durch entsprechende Entwicklungen in der Softwareentwicklung motiviert ist. Da ist der Begriff durchaus etabliert. Natürlich hat sich die Informatik auch diesen Begriff (vgl. „Ontologien“) geliehen, nämlich beim Architekten und Städteplaner (wenn ich das richtig im Kopf habe) Christopher Alexander.
1. Juni 2010 um 16:02
http://www.peter.baumgartner.name/schriften/publications-de/BaumgartnerBauer2010a 🙂
2. Juni 2010 um 09:19
Hallo,
ich bin selbst überrascht, dass die Diskussion ins Esoterische abgleitet, da mir so etwas eher fremd ist.
Wenn ich über meine eigene „Pattern-Geschichte“ reflektiere, dann erinnere ich mich immer wieder daran, wie ich das Buch „Entwurfsmuster: Elemente wiederverwendbarer objektorientierter Software“ gelesen habe. Meine Begeisterung für Patterns rührte (und rührt noch immer) von der praktischen Nützlichkeit der darin beschriebenen Best Practices. Dass dabei ein bestimmtes Format zur Beschreibung und ein ganzes Theoriegerüst hinter steckt war mir damals nicht bewusst. Und vor allem: es war für das erfolgreiche Umsetzen der Patterns und der damit verbundenen Verbesserung meiner Programme (die plötzlich nicht mehr in sich zusammenbrachen 😉 auch nicht wichtig diese ganzen Hintergründe zu kennen!
Erst die wissenschaftliche Auseinandersetzung hat mich dann zu der Frage gebracht, was Muster eigentlich sind – was das Wesen der Muster ausmacht. Und dann landet man sehr schnell bei Wissenschaftstheorie: Ich habe mich zusammen mit Stefanie Panke gefragt: Is that true…? (http://hillside.net/plop/2009/papers/People/Is%20that%20true….pdf ) Der Beitrag der PLoP im letzten Jahr beschäftigt sich damit, wie sich Patterns prüfen lassen und wie viel „Wahrheitsgehalt“ in ihnen steckt.
Und nun also Ganzheitlichkeit. Für den Workshopband (E-Learning Patterns Workshop letztes Jahr in Tübingen) sitze ich gerade in den letzten Zügen über den Zusammenhang von „Wholeness“ und Patterns. Da kommen dann tatsächlich so esoterische Begriffe wie Entfaltung oder Goethes Urphänome vor! Auch eine Prise Wittgenstein (Familienähnlichkeit) darf nicht fehlen. Ziemlich glattes Eis, da ich mich mit vielen dieser Dinge nicht in der Tiefe auskenne.
Ganzheitlichkeit muss nicht etwas Esoterisches sein. Eigentlich ist es gerade mein Ziel zu zeigen, dass ganzheitliche Sichtweisen nicht etwas Esoterisches sondern etwas sehr Bodenständiges sind. Denn aus unserer Alltagserfahrung wissen wir nur zu gut, dass dieselbe Form in einem anderen Kontext unterschiedliche Wirkung zeigt, dass also der Kontext auf die Form wirkt (z.B. verhält sich der gleiche Mensch unterschiedlich in verschiedenen sozialen Gruppen).
Zum (ersten) Kommentar von Niels: Muster sind natürlich nicht bedeutungslos, wohl aber zu abstrakte Modelle, die auch keine Muster mehr sind. Gerade weil Muster konkreter sind, lassen sie sich auch empirisch prüfen. Aber eben nur als Ganzes und nicht durch Zerlegung in die einzelnen Faktoren. Die Grundannahme ist ja, dass die einzelnen Einflussfaktoren miteinander verbunden sind, und die Änderung eines Faktors Auswirkung auf die anderen hat. Ich bin grundsätzlich für empirische Überprüfung. Nur darf man eben nicht das Verhalten eines Faktors, das ceteris paribus im Labor ermittelt wird, für überall gültig nehmen. Auch das ist nichts neues, nur leider hält sich meist niemand dran, d.h. Zusammenhänge, die in einer Situation beobachtet werden, werden dahin gehend verallgemeinert, dass sie für alle Situationen gelten. Das Verhalten hängt aber immer von der Situation ab und daher sollte diese mit berücksichtig werden.
Die größte Herausforderung sehe in nun auch mehr darin, zu zeigen, was wirklich neu ist an dem Ansatz und habe fast die Befürchtung…nichts. Es ist eher ein Zusammenfassen vieler bekannter Konzepte und Grundsätze, die aber konsequent angewendet werden.
Ich bin auf alle Fälle gespannt auf die Diskussion. Nächste Woche auch gerne intensiver im Blog; da ich aber gerade in den letzten Zügen am Workshopband sitze (dessen Deadline, ehem, gestern Nacht abgelaufen ist) erst nächste Woche…. Ich muss mich ja auch noch mit Argumenten für Freitag vorbereiten. Zumindest kann ich schon einmal versprechen, dass ich viele neue Sichtweisen mitbringe, die ich so noch nicht in anderen Vorträgen dargestellt habe 🙂
Beste Grüße,
Christian