Gabi Reinmann

Hochschuldidaktik

Anwesenheitslisten als Schlüsselreiz

Anlässlich eine Vortrags am 11. Juni in Wien (hier die Ankündigung) habe ich der Zeitung „Der Standard“ (Österreich) ein Interview gegeben, das online hier verfügbar nachzulesen ist. Es geht mal wieder um Bologna und die Frage, was da so alles schief läuft und wer dafür verantwortlich ist. Viele der Fragen sind/waren wirklich sehr schwer zu beantworten und was ich da sage, ist meine persönliche Meinung, die natürlich nur auf einem bestimmten Erfahrungsschatz – nämlich meinem – beruht. Interessant sind die vielen Kommentare (unter dem Interview), was man sonst selten beobachtet! Die meisten Kommentare sind zustimmend und erläuternd. Nicht wenige der Kommentare beziehen sich hauptsächlich auf die willkürlich herausgegriffene Aussage zu Anwesenheitslisten, die die Journalistin als Überschrift gewählt hat – nämlich dass ich KEINE Anwesenheitslisten führe (scheint also eine besonders attraktive Aussage zu sein ;-)). Daran sieht man mal wieder, wie aufmerksamkeitslenkend Titel sein können (übrigens auch ein Effekt bei Veranstaltungen). Unter den vielen Kommentaren sind auch einige (wenige), die sich unmittelbar auf die Universität der Bundeswehr beziehen. Nun ja, das ist mir klar, dass dies nun immer wieder ein Punkt sein wird, auf den ich angesprochen werde. Ich gebe zu, dass das auch lange ein Aspekt war, der mir bei der Rufannahme eine ganze Reihe Zweifel beschwert hat.

Also, vielleicht kann ich ein paar Punkte klar stellen. In einem Kommentar wurde angemerkt, dass man einer Universität der Bundeswehr ja wohl keine Anwesenheitslisten brauche. Also: Auch an einer Universität der Bundeswehr ist es – das kann ich jetzt in meinem ERSTEN Trimester sagen – keineswegs so, dass die Studierenden tatsächlich alle quasi „auf Befehl“ kommen – eher im Gegenteil. Meine ersten Erfahrungen sind so, dass es im Studierverhalten zwischen BA-Studierenden etwa der Uni Augsburg und der UniBw München im Hinblick auf „ökonomisches Denken bei Workload und Co.“ keine großen Unterschiede gibt. Auch die Sorgen wegen der Umstellung auf BA (in München nämlich ganz neu) sind vergleichbar mit dem, was ich Anfang 2000 in Augsburg erlebt habe. Übrigens: Auch an der Uni Augsburg habe ich keine Anwesenheitslisten geführt. Anfangs hatte ich das versucht und nicht den Eindruck, dass das irgendeinen wirklich gewinnbringenden Effekt hat. Deswegen habe ich es sehr schnell wieder sein gelassen. Ein weiterer Kommentator bezweifelt, ob man an der UniBw in München überhaupt frei denken dürfe. Dazu: Beide Universitäten der Bundeswehr unterliegen jeweils dem Hochschulgesetz des jeweiligen Landes (in München also Bayern). Es ist natürlich schon ein ziemlicher Unsinn zu sagen, man dürfe dort nicht frei denken. Natürlich ist der Kontext ein anderer als an anderen Unis. Aber Helmut Schmidt hat sich maßgeblich für die Gründung beider Unis eingesetzt, DAMIT genau die lernen, eigenverantwortlich zu denken, die später mal besonders große Verantwortung tragen. Ich nehme das ernst und finde es von daher besonders wichtig, die Grundsätze eines Universitätsstudiums dort umzusetzen, die im Zuge einer wachsenden Ökonomisierung übrigens an ALLEN Hochschulen in Gefahr sind!

PS: Leider sind die Angaben zu meiner Person in diesem Interview nicht so ganz richtig: Werder bin ich Medienpsychologin, sondern einfach „nur“ Dipl.-Psychologin 😉 noch habe eine Professur für Medienpädagogik, sondern für Lehren und Lernen mit Medien.

4 Kommentare

  1. Hallo Gabi,
    deinen Eindruck zu den unibw-Studierenden kann ich nur bestätigen (wobei ich auch erst seit April dort bin). Jedenfalls wissen die Studierenden dort durchaus die universitäre Freiheit zu nutzen, die sie vermutlich in ihrem „beruflichen Kontext“ so nicht haben 😉
    Und diejenigen, die sich an meinen Veranstaltungen beteiligen, sind erfreulich kritisch (im positiven Sinne) bezüglich der Inhalte – in Augsburg habe ich sicher nicht öfters entsprechende Beiträge oder Fragen erlebt.
    Liebe Grüße,
    Alex

  2. Hallo Gabi,
    ich erinnere mich noch, dass ich einmal mit einer Kommilitonin einer Sitzung deines Abschlusskandidatenkolloquiums fernblieb, um an einer Exkursion der LMU München teilzunhemen. Abends hatte ich dann die Rundmail von dir an die Seminarteilnehmer im Postfach, wo wir denn gewesen seien. Das fand ich viel effektiver als jede Anwesenheitliste. 😉
    Viele Grüße,
    Jan

  3. Liebe Gabi,
    in einem der letzten Forschung&Lehre-Hefte (bekommst du die?) gab es einen ausführlichen Artikel über den Unsinn von Anwesenheitslisten. An unserer Hochschule wird dieser Punkt gerade auch heftig diskutiert. Ich habe auch noch nie Anwesenheitslisten geführt und werde es auch nicht. Man erfasst allerhöchstens physische Anwesenheit, und noch nicht mal die korrekt (was man sicher leicht feststellt, wenn man sich mal die Mühe macht, die Anzahl der Anwesenden und die Anzahl der Eintragungen auf der Anwesenheitsliste zu vergleichen). Meiner Ansicht nach ist es gerade ein Vorteil des Studiums, dass Studierende sich selbst entscheiden können sollen, wie sie lernen möchten. Wer aus Büchern lernen möchte, braucht nicht in meine Vorlesung zu kommen. Die Informationen sind zwar tatsächlich andere, weil ich eigene Schwerpunkte setze und ab und zu auch mal ins „Erzählen in Fußnoten“ gerate, aber jeder soll sich entscheiden können, ob er das Mitnehmen möchte oder nicht. Wenn wir Studierende zu selbstbestimmtem Lernen motivieren wollen, dann müssen wir auch Selbstbestimmung zulassen.

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