Gabi Reinmann

Hochschuldidaktik

Stütze für die mentale Gesundheit

Es gibt kleine und große Dinge, die kann man – einmal in Gang gesetzt – nicht mehr aufhalten: Eine Tasse Kaffee, an die man dranstößt, bekommt man in der Regel erst dann wieder zum Stehen, wenn sich der Inhalt bereits über den ganzen Tisch ergossen hat. Die Mail, die gar nicht fertig war und noch Adressaten enthielt, die da nicht stehen sollten, lässt sich nicht mehr zurückholen, wenn der Send-Button einmal angeklickt ist. In beiden Fällen beobachtet man in den entscheidenden Bruchteilen von Sekunden die Katastrophe und weiß gleichzeitig, dass man sie nicht mehr aufhalten kann – umgekippt – weggeschickt – unwiderruflich.

Bisweilen habe ich den Eindruck, dass auch die Ökonomisierung von Wissenschaft und Hochschulbildung ein Prozess ist, der – einmal angestoßen – nicht mehr anzuhalten ist, obwohl viele Augen auf die sich abspielenden Prozesse geheftet sind und die sich daran anschließenden kleineren und größeren Katastrophen quasi live mitverfolgen – nicht in Bruchteilen von Sekunden, sondern in Zeiträumen von Jahren. Die Beobachtungen werden sogar zunehmend öffentlich mitgeteilt – in Büchern, Sendungen und Zeitschriften, so z.B. wieder einmal in der aktuellen Ausgabe von Forschung und Lehre, die den Titel trägt „Wettbewerb: Glanz und Elend“. Neben einigen anderen kommen die allseits bekannten Kritiker zu Wort, so z.B. Martin Binswanger (auf sein lesenswertes Buch habe ich hier bereits hingewiesen) und Richard Münch (ebenfalls schon Anlass für Blog-Postings, z.B. hier). Aber was hilft es? Nach der erste Freude über die Existenz von Gleichgesinnten, die man als Stütze für die eigene mentale Gesundheit erlebt, bleibt die bange Sorge, ob und wie sich der in Gang gesetzte Prozess noch aufhalten oder zumindest umlenken lässt, gefolgt von der „Fast-Gewissheit“, dass diese Chance bereits unwiderruflich vertan ist. Das Schlimme nämlich ist, dass wir alle mittendrin stecken: Drittmittel und gute Evaluationsergebnisse in der Lehre bestimmen mit, was am Monatsende auf dem Konto ist; von unserem Antragserfolg sind Nachwuchswissenschaftler abhängig, die wir fördern möchten; die Güte unserer Prosa bei der Beschreibung von Studiengängen entscheidet über die (Re-)Akkreditierung und damit über Rahmenbedingungen für Studierende; wer eine Professur ergattern oder sich noch einmal verändern möchte, wird tunlichst die aktuell geforderten Publikationsriten mitspielen usw. Wenn die eigene Person und Menschen, für die man sich verantwortlich fühlt, tangiert sind, wird es schwer, den Schritt vom Reden zum Handeln zu vollziehen und das Unmögliche zumindest zu versuchen: aufzufangen und anzuhalten, was scheinbar nicht mehr aufzufangen und anzuhalten ist – und das obwohl uns hier nicht nur Bruchteile von Sekunden, sondern Jahre zur Verfügung stehen.

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