Die Frage, welchen Einfluss das Fach bzw. die Domäne, man könnte auch sagen: der Gegenstand oder die Inhalte, auf didaktische Entscheidungen beim Medieneinsatz in der Hochschullehre haben, ist wichtig und keineswegs neu. Nun beschäftigen sich gleich mehrere Texte bei e-teaching.org mit der „Fachspezifik in E-Learning-Support & Praxis“. In einem Überblicksartikel gibt Simone Haug (hier) einen Überblick über vor allem empirische Befunde zu dieser Frage und kommt unter anderem zu dem Schluss, dass es so etwas wie eine Schnittmenge zwischen verschiedenen Fächern gibt, etwa wenn es um die Online-Verfügbarkeit von Lehr-Lernmaterialien und klassische Funktionalitäten von Lernplattformen geht. Daneben aber zeigen sich – mal mehr, mal weniger ausgeprägt – durchaus fachspezifische Besonderheiten, die allerdings wenig verwunderlich sind: mehr (interaktive) Multimediaproduktion bis hin zu aufwändigeren Dingen wie Simulationen in eher naturwissenschaftlich orientierten Disziplinen und mehr Nutzung von Kommunikations- und Kollaborationswerkzeuge in den textlastigen Geistes- und Sozialwissenschaften. Aber auch auf Unterschiede zwischen dem verfügbaren Budget mit entsprechenden Folgen für den Medieneinsatz weist der Beitrag von Haug hin. Eine eigene Studie von e-teaching.org (siehe hier) kommt auf ähnliche Ergebnisse, wobei allerdings die Beteiligung gering und fachbezogen unausgewogen war. Da aber ohnehin die Tendenzen aus anderen Studien belegt wurden, scheint das gar nicht sonderlich ins Gewicht zu fallen.
Nun stellt sich für mich die Frage, was man mit diesen „evidenzbasierten Einsichten“ (sprich: man hat jetzt auch Zahlen zu dem, was ohnehin schon jeder ahnte, der sich mit E-Learning beschäftigt) anfängt. Folgerungen wie „Austausch ist wichtig“ sind sicherlich richtig, aber mich würde an sich mehr interessieren, ob und wenn ja welche konkreten didaktischen Gestaltungsziele und -aufgaben daraus resultieren könnten. Eher wenig hilfreich finde ich hierfür die auch bei diesem Thema dominierende Zweiteilung von Ansätzen und Überzeugungen seitens der Lehrenden, die man aus den Ergebnissen zum Medieneinsatz in der Hochschullehre scheinbar herauslesen kann. In beiden zitierten Texten wird die Einteilung in einen „inhaltsorientierten bzw. lehrendenzentrierten Lehransatz“, der sich auf die Materialversorgung der Studierenden konzentriere, und einen „lernorientierten bzw. studierendenorientierte Lernansatz“, der durch aktivierende Aufgaben die eigene Erfahrung der Lernenden fördere, favorisiert und mit den erzielten Ergebnissen in Verbindung gebracht. Genau damit aber werden die vorher ins Zentrum gestellten Fachunterschiede wieder ausgeblendet – also Unterschiede, die sich aus der Sache heraus (möglicherweise unabhängig vom Lehrenden und seinen impliziten oder expliziten Überzeugungen) ergeben könnten. Im Gegensatz zu früher erscheint mir diese Zweiteilung heute als zu einfach. Warum, das habe ich an anderer Stelle bereits genauer ausgeführt: Siehe hier sowie passend dazu an der Stelle auch gleich der dazugehörig Preprint:
20. Oktober 2011 um 11:56
Der Artikel „Instruktion versus Konstruktion“ ist argumentativ sehr gut nachvollziehbar, die Verbindung von unterschiedlichen Vorgehensweisen etc. ist ja meistens hilfreich. Es stellt sich nur die Frage, ob es nicht Phasen geben kann, in denen die Dichotomisierung vorübergehend notwendig ist. Im Schulbereich hat sich in den letzten Jahren eine stärkere Betonung des selbstorganisierten etc. Lernens gebildet; praktisch konnte sich das in den meisten Fällen nur konfrontativ herausbilden: Gruppenarbeit versus Frontalunterricht, digitale Werkzeuge versus Printmedien, etc. Häufig waren die Prozesse auch mit heftigen persönlichen Auseinandersetzungen verbunden. Nach solchen antithetischen Phasen kann dann irgendwann ein synthetischer Prozess beginnen, wie ihn Hilbert Meyer kürzlich in einem Interview favorisiert hat: friedliche Koexistenz aller klassischen und neuen Lehr- und Lernformen. Aber das ist jetzt noch Vision, im Schulalltag müssen sicher noch auf längere Zeit dichotomische Kämpfe ausgefochten werden, hoffentlich mit dem Bewusstsein aller Beteiligten, dass das ein Provisorium ist. Hinzu kommt, dass die politischen Rahmenbedingungen ja ganz klar eine Seite der Dichotomie bevorzugen: Zentralabitur, Lernstandserhebungen, etc. Der Zusammenhang mit Bologna und den Routinen ist klar, in der Schule werden die späteren StudentInnen schon so abgerichtet, dass sie bei Frau Prof. Reinmann in einer experimentellen Einführungsvorlesung nur verwirrt sein können. Im Schulbereich ist das ähnlich, wenn SuS aus einem harten Frontalunterricht in einen offenen mediengestützten Unterricht kommen, sind sie verwirrt, oft jahrelang. Wenn ein offener Unterricht die vorherrschende Praxis wäre, würde ein harter Frontalunterricht die SuS verwirren. Fazit aus meiner Sicht: In der Theoriedebatte ist das Ansteuern einer Synthese oder Verbindung richtig, in der Praxis muss die neue Seite der Dichotomie erst gestärkt werden. Dabei kann es notwendig sein, vorübergehend das Neue stärker zu betonen und sich von der Gegenseite stärker zu distanzieren, wenn auch mit schlechtem Gewissen.
22. Oktober 2011 um 16:07
Ich würde es eher umgekehrt sehen: In Phasen der theoretischen Entwicklung z.B. neuer Konzepte kann es sinnvoll sein, zu akzentuieren und in der Folge Unterschiede deutlicher hervorzuheben als Gemeinsamkeiten oder Komplementaritäten. Das dient dann der notwendigen Begriffsschärfung, der Kritik an bestehenden Konzepten und der Suche nach neuen Möglichkeiten für die theoretische Erfassung eines Phänomens. In der Praxis können Provokation und Konfrontation zum Erkennen neuer Potenziale ebenfalls als Einzelereignisse sicher fruchtbar sein (auch als rhetorische Gestaltungsmaßnahme etwa in Vorträgen). Bei einer chronischen Lagerbildung in der Praxis aber sehe ich mehr Schaden als Nutzen – und das auf Kosten der Lernenden, zumal da JEDER theoretisch arbeitende Mensch ohne zu zögern zugeben wird, dass er NICHT die Wirklichkeit abbildet, sondern ideale Kategorien konstruiert. Werden dichotome, zunächst theoretisch gemeinte Kategorien dann Wirklichkeit und verfestigen sich, kann das den Fortschritt meiner Einschätzung nach eher verhindern. Es mag da sicher Ausnahmen geben und es fehlt mir die Anschauung in der Schulpraxis. In der Hochschul- und Weiterbildungspraxis aber, in der ich selbst auch eigene Erfahrung habe, kann ich den Nutzen der Dichotimisierung (inzwischen) nicht mehr so recht erkennen.