Wenn man ein bestimmtes Bild von der Universität zeichnet, z.B. in die Richtung, dass Studierende besonders engagiert in ihrem Studium oder im Gegenteil besonders lethargisch und gleichgültig sind oder in die Richtung, dass Lehrende besonders einfallsreichreich in der Lehre oder im Gegenteil besonders ignorant sind, dann erntet man in jedem Fall Widerspruch, weil es immer Gegenbeispiele zu dem gibt, was man gerade darstellt. Und das ist auch nicht verwunderlich, denn Universitäten sind voll von engagierten und lethargischen Studierenden, von einfallsreichen und ignoranten Lehrenden; und sie sind voll von Studierenden und Lehrenden, auf die eine Vielzahl anderer und dabei auch gegensätzlicher Eigenschaften zutrifft – mitunter auch mehrere gegensätzliche bei einer Person je nach Situation. Wenn also variable Bilder von erfolgreichem und misslungenem Lehren und Studieren gezeichnet werden, dann treffen sie wahrscheinlich stets zu und zwar gleichzeitig und machen zusammen die Vielfalt aus, die wir im Universitätsalltag antreffen.
Sind Lehrende UND Studierende engagiert, ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass zwar beide Seiten einen großen Aufwand, aber ähnliche Erwartungen haben und ihre jeweilige Investition als lohnend empfinden. Umgekehrt gilt (leider) auch, dass im Falle wenig engagierter und interessierter Lehrender UND Studierender die Erwartungen ebenfalls weitgehend übereinstimmen, man den Aufwand auf beiden Seiten klein hält und sich schlicht gegenseitig in Ruhe lässt. Probleme und Herausforderungen ergeben sich allerdings in besonderem Maße überall dort, wo infolge der Verschiedenheit die Erwartungen seitens der Studierenden und die der Lehrenden auseinanderdriften: Studierende, die etwas lernen wollen, sich engagieren und auf Lehrende treffen, das das Minimum erfüllen, keine Rückmeldungen anbieten und kein sonderliches Interesse an der Lehre und den Studierenden haben, sind enttäuscht, bei günstigen personalen Bedingungen werden sie selbst aktiv und im ungünstigen Fall ziehen sie sich demotiviert zurück. Umgekehrt gilt aber auch: Lehrende, die in der Lehre mehr sehen als eine Pflicht, sich viel einfallen lassen und auf Studierende treffen, die das Minimum erfüllen, Rückmeldungen eher als lästig empfinden und letztlich das Studium aus anderen Gründen als aus Interesse an der Sache absolvieren, entwickeln ebenfalls unterschiedliche negative Reaktionen: Ärger, Resignation und Zeitinvestition in andere Dinge als Lehre.
Noch einmal komplexer wird die Situation, wenn man die Möglichkeit hinzuzieht, dass die verschiedenen Konstellationen sowohl bei den Studierenden als auch bei den Lehrenden zum einen unreflektiert „passieren“, zum anderen aber auch bewusst wahrgenommen und mit Kalkül praktiziert werden können. An dieser Stelle werden dann auch von beiden Seiten vielfältige Gründe angeführt, die das eigene Verhalten (scheinbar) legitimieren.
Wie ich da jetzt darauf komme? Nun, das Trimester (wir beginnen Anfang Oktober) ist noch im ersten Drittel, aber sowohl aktuelle Erlebnisse mit Studierenden als auch solche mit Kollegen/innen führen dazu, dass ich über solche Dinge im Moment gerade (mal wieder) nachdenke. Ich empfinde die Situation jedenfalls als vertrackt, denke mir oft, dass alle „am Spiel Beteiligten“ ihre Erwartungen und Aufwandsbereitschaft eigentlich transparenter machen müssten, wohl wissend, dass das infolge von sozialer Erwünschtheit und anderen Gründen eine utopische Vorstellung ist. Aber selbst WENN man den Versuch macht, die eigenen Erwartungen zu explizieren, steht in den Sternen, wie das der jeweils „andere“ interpretiert, ob er/sie die Erwartungen als legitim empfindet etc. Denkt man das weiter, landet man unweigerlich bei den Erwartungen an die Universität als eine gesellschaftliche Institution und stellt auch da eine hohe Diskrepanz fest, sodass es wiederum nicht verwunderlich ist, wenn wir auch zwischen Lehrenden und Studierenden auf diese teils ausgesprochenen, teils unausgesprochenen Erwartungsdiskrepanzen treffen.
Ich freue mich über Kommentare mit Ideen oder Erfahrungen, wie man damit konstruktiv(er) umgehen kann.
23. Oktober 2011 um 11:10
Ein wesentlicher Aspekt bei der Problematik ist sicher die jeweils herrschende Kommunikationskultur. Ich habe im SS 2011 in Münster in einem kleinen Seminar erlebt, wie fatal sich nicht funktionierende Kommunikation auswirken kann (schwierige Diskussionen, mangelnde Kritik, keine Reaktion der Studenten auf Wiki-Angebote, kein Interesse an online-Kommunikation, etc.) mit der natürlichen Folge von Frustration auf beiden Seiten. Im Vergleich dazu erlebe ich seit geraumer Zeit in hochkarätig besetzten Gruppen bei Facebook, wie spannend und intensiv eine fachliche online-Kommunikation sein kann (z.B. Gruppe „Medienpädagogik“). Diese Form der Kommunikation könnte auch zwischen Lehrenden und Studenten stattfinden oder zwischen Studenten untereinander. Dafür muss aber erst einmal eine solche Kommunikationskultur erfahrbar werden. Dass dies möglich ist, zeigt für mich vor allem das Beispiel der TU Graz mit dem Team um Martin Ebner. Die letzte Befragung der Studenten hat dort sehr gut gezeigt, dass Prozesse der online-Kommunikation auf allen Ebenen in Gang kommen (im Gegensatz zu Meinungen von Skeptikern wie Rolf Schulmeister, den ich grundsätzlich sehr schätze). Die Erfolge kann man nebenbei auch an einer (geschlossenen) Gruppe der TU Graz ablesen, „Mathe, Mechanik, Physik etc an der TU Graz“, wo sich tagtätlich ein ungemein lebendiger Austausch der Studenten untereinander abspielt. Bei einer solch dichten Kommunikation aller Beteiligten am Lehr-/Lernprozess sind Graben- oder Lagerbildungen kaum noch möglich, weil der Prozessfortschritt immer im Vordergrund steht. Einen sehr visionären Artikel über die mögliche Veränderung der Wissenschaft allgemein hin zu solch einer Prozessorientierung ohne ständige Kämpfe um Privilegien, Vorteile, Ressourcen etc. hat übrigens gerade Anatol Stefanowitsch veröffentlicht: http://www.heise.de/tp/artikel/35/35734/1.html , vielleicht ein wenig unrealistisch für die nähere Zukunft, aber als Gedankenexperiment interessant.
23. Oktober 2011 um 17:20
Ähnliche Überlegungen habe ich auch schon einmal angestellt und kam zu dem Schluss, dass das Prinzip dem guten alten Gefangenendilemma (http://de.wikipedia.org/wiki/Gefangenendilemma) ähnelt. Und da hier mehrfach „gespielt“ wird, nicht nur einmal, würde ich ableiten: mit gutem Beispiel vorangehen – die nicht-kooperative Situation durch Transparenz durchbrechen und so Vertrauen aufbauen, das in zukünftigen „Spielen“ helfen kann.
26. Oktober 2011 um 08:31
kleiner Hinweis darauf, dass die Bemühungen um intra- und interuniversitäre Kommunikation, wie sie an der TU Graz und sicher auch an einigen anderen Universitäten in der Entwicklung sind, auch durch internationale Tendenzen gefördert werden, selbst durch neue Geschäftsstrategien:
http://www.forbes.com/sites/jamesmarshallcrotty/2011/10/25/future-of-education-is-mobile-social-and-in-the-cloud-lessons-from-educause-part-one/
gefunden natürlich via Facebook 🙂
26. Oktober 2011 um 10:50
Danke für die Kommentare! Ich denke, das Thema Vertrauen spielt in der Tat bei dieser Sache eine sehr große Rolle!! Dass sich die Schwierigkeiten und Herausforderungen in Sachen wechselseitiges Engagement für Bildungsprozesse gänzlich via Medien lösen lassen, das glaube ich allerdings nicht. Das mag unter speziellen zielgruppenspezifischen Bedingungen eine (erfolgreiche) Option sein und dabei auch neue Spielräume eröffnen. Wo diese Bedingungen aber (noch) nicht gegeben sind, können ausgeprägte Medienangebote das Problem sogar verschärfen (Stichwort Verantwortungsdiffussion, Unverbindlichkeit etc.).
Gabi
29. Oktober 2011 um 07:29
mit dem kleinen Unterschied gegenüber dem Gefangenendilemma, dass in diesem Fall das Ausbrechen und Überwinden des Dilemmas nicht auf einer einzigen punktuellen Entscheidung beruht, sondern den permanenten Einsatz von viel (emotionaler) Kraft erfordert. Ohne das gute alte positive Menschenbild bliebe man dann doch in einer vertrackten Lage zurück…
29. Oktober 2011 um 09:03
@Dominic
Genau, daher habe ich ja schon angemerkt, dass das Gefangenendilemma nicht nur einmal, sondern mehrfach gespielt wird.
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