Es liegen mal wieder mehrere Tage hinter mir, an denen ich einen Stapel Hausarbeiten gelesen, kommentiert und bewertet habe. Ich gebe es zu: Diese Tätigkeit frustriert mich. Sie frustriert mich, weil keinesfalls alle, aber viel zu viele dieser Arbeiten auch im zweiten Studienjahr nicht den Standards entsprechen, die man erwarten würde oder – noch schlimmer – auf die man meint, durchaus hingearbeitet zu haben. Was mir dabei besonders auffällt und was ich an dieser Stelle mal thematisieren möchte, ist die grundlegende Sprachkompetenz. Damit meine ich die Kompetenz, erstens einen Gedanken mittels Sprache so zu formulieren, dass der Gedanke auch tatsächlich wiedergegeben wird, dass der so formulierte Gedanke zweitens für einen Leser nachvollziehbar bzw. verständlich ist, dass die gewählte Formulierung drittens grammatikalisch korrekt und viertens ohne Komma- und Rechtschreibfehler ist. Fangen wir von hinten an: Rechtschreibfehler sind dank Rechtschreibhilfen in allen gängigen Textverarbeitungsprogrammen an sich gar nicht so das Problem – mit Ausnahme vielleicht der Klein- und Großschreibung. Kommafehler sind der reine Wahnsinn. Es geht hier nicht um die Feinheiten – wirklich nicht. Vielmehr werden Kommata nahezu flächendeckend derart wahllos gesetzt, dass daraus bereits Verständnisprobleme resultieren und man sich fast wünschen würde, die Autoren würden Kommata besser gleich ganz weglassen. Grammatikfehler sind ebenfalls häufig: Ganz oben rangieren unvollständige Haupt- wie auch Nebensätze. Nicht im eigentlichen Sinne fehlerhaft, aber extrem hinderlich für das Verstehen sind Passivkonstruktionen, Nominalisierungen und verschachtelte Sätze. Aber all das ist gar nicht das Schlimmste. Für mein Sprachempfinden viel schlimmer ist es, wenn die Sätze semantisch mitunter gar keinen Sinn ergeben, wenn ich sie gar nicht verstehe, sondern nur ahne, was sie aussagen sollen. Wie das zustande kommt? Meine These ist, dass folgende Faktoren eine zentrale Rolle spielen: oberflächliches Lesen wissenschaftlicher Literatur; nur ungefähres Verstehen dessen, was man gelesen hat; der fest verwurzelte Glaube, dass einfache und klare Sätze unwissenschaftlich sind, gepaart mit der Überzeugung, dass die oben genannten grammatikalischen Fehlleistungen (Passivkonstruktionen, Nominalisierungen, verschachtelte Sätze, unnötige Fremdwörter) zum guten wissenschaftlichen Ton gehören. Es ist naheliegend, dass Defizite auf der Sprachebene auf der nächst höheren Ebene etwa der Argumentation eine Fortsetzung finden: Es ist kaum möglich, eine konsistente Argumentation aufzubauen, wenn man schon Probleme hat, einen Gedanken in einen klaren Satz zu packen.
Ich weiß, das klingt jetzt vielleicht etwas überheblich. Ich gestehe auch, dass bei so mancher Lektüre der Zorn in mir aufsteigt und irgendein Ventil her muss, wenn ich einen ganzen Tag oder mehrere Tage damit verbracht habe, Rechtschreib- und Kommafehler, Grammatikfehler und unverständliche Sätze, Absätze und ganze Abschnitte zu markieren und zu erläutern – mit dem Wissen, dass nur wenige diese Hinweise, die mich viele, viele Stunden kosten, auch nutzen werden (aber einige halt schon, weswegen ich es immer wieder tue). Aber mal jenseits der Überheblichkeit und des Zorns: Das ist doch wirklich ein Problem, oder? Was mir hier unter anderem fehlt, ist das Problembewusstsein. Bisweilen habe ich den Eindruck, sprachliche Defizite gelten als eine Art Kavaliersdelikt – also als legitimer Regelverstoß, der nicht nur akzeptiert, sondern in gewisser Weise sogar befürwortet wird: Besser man nutzt die Zeit für was Wichtigeres! Was kann man tun? Schreibwerkstätten einrichten? Viele Maßnahmen zum „wissenschaftlichen Schreiben“ beschäftigen sich eher mit der Zitierweise, mit dem Aufbau von Texten, auch mit emotionalen Problemen wie Schreibblockaden etc. Das ist alles wichtig und richtig so. Aber wenn es ein noch viel grundsätzlicheres Problem gibt – nämlich das, welches ich hier versuche, kurz zu beschreiben? Wie kann man das beheben? Wie kann man überhaupt erst mal das Bewusstsein dafür schaffen und zu einer Haltung gelangen, dass es NICHT egal oder sekundär ist, wenn man sprachliche Defizite hat? Ich würde ja gerne helfen, aber wie in anderen Kontexten auch, bedarf es dazu erst einmal der Einsicht, dass es sich hier um ein relevantes Problem handelt!
25. April 2012 um 20:29
Aus meiner Sicht “erlernen” die Studierenden die Fehlerhaftigkeit im Fach Deutsche Sprache bereits in der (Grund-) Schule und übertragen sie nur in ihre Hochschulzeit. Solange das richtige Schreiben nicht von Anfang an belohnt wird, kann sich später nicht mehr viel ändern bzw. keine Einsicht in das Problem erfolgen. Hochschullehrende können sich darüber ärgern oder (möglichst gemeinsam, wenn es denn andere ebenso stört) einen Weg suchen, das Übel an der Wurzel, sprich: spätestens in der Schule zu packen. Zum Beispiel erhalten die Schüler in Bayern zwar eine Rückmeldung über die Fehler in ihren Aufsätzen, jedoch haben diese Kommentare keine Konsequenzen und werden vermutlich deshalb schlicht nicht wahrgenommen. Ebenso wird mit der Sprache in anderen Fächern verfahren. Fachbegriffe in den naturwissenschaftlichen Fächern werden nur anerkannt, wenn sie richtig geschrieben sind. Außerhalb dieser Begriffe ist es schon wieder egal, wie viele Fehler der Text enthält…
29. April 2012 um 18:56
Vielleicht sollten wir Lehrer in der Sekundarstufe II und die Dozenten an der Uni wieder mehr Lückentexte wie in der Grundschule anbieten?
29. April 2012 um 23:42
Hach… ja ich finde, dass das ein ernstzunehmendes Problem ist. Und auch wenn der vorherige Verweis auf Defizite in der Schulbildung richtig und wichtig ist, das erklärt für mich persönlich nicht das, was man z.B. schon in den Probeseiten von kostenpflichtigen Hausarbeitsdownloadportalen findet. Vor allem, wenn über einer HA, bei der einem, schon ob der sprachlichen „Gestaltung“, die Haare zu Berge stehen eine Note von 1,3 prangt.
Ich bin selbst noch nicht lange dem Studi-dasein entkommen, aber hoffe (bis auf meine katastrophale Kommasetzung) über einen ordentlichen Schreibstil zu verfügen. Ich habe da ja anderthalb Thesen:
1. Lesen hat einen immensen Einfluss auf unseren Wortschatz und Sprachgebrauch. Das gilt für die Kindheit und gesamte Schulzeit, aber im Studium in besonderer Form: Für die meisten ist es der erste Kontakt mit wissenschaftlichen Texten und Textsorten.
0,5. Das Sprachgefühl oder vielmehr wie schwer oder leicht es Studierenden fällt sich einen neuen Stil anzueignen ist das was Teil von akademischem Habitus ist – folglich etwas sehr Vertracktes, dem eben nicht mit Schreibwerkstätten (zumindest, wie sie an den meisten Unis organisiert sind) beizukommen ist. (Trotzdem möchte ich klarstellen, dass es überhaupt ein Fortschritt ist, dass es immer mehr solche Einrichtungen gibt.)
Ich selbst habe etwas Angst, wie ich mich (hoffentlich irgendwann) als Dozentin machen würde. Mir fehlte schon im Hauptstudium die Geduld, die furchtbaren Referate, Handouts oder gar Essays einiger Kolleg*innen an zu tun. Ich kann auch über meine ersten HA lachen, dass ich andere an gestaunt habe, die mir furchtbar eloquent erschienen, um wieder ein paar Semester später erkennen zu können, wer von denen tatsächlich etwas zu sagen hat und wer nur „blufft“. Ich fand aber auch, dass viele Dozierende zu diplomatisch oder sagen wir lieber ‚gut-gemeint-pädagogisch‘ agierten. Ich glaub ich werde jedes Seminar, in dem 50% „unbelesen“ antreten rund machen. (Naja, auch mein erziehungswissenschaftlicher Hintergrund wird mich hoffentlich daran hindern… *g*)
In diesem Sinne glaube ich, dass tatsächlich mehr gelesen werden muss. Klar Referate oder Inputs sind praktisch (man muss sich nicht der Enttäuschung stellen, dass mal wieder kaum eine*r den Text gelesen hat; es geht ‚vorwärts‘ im Stoff…), aber eben „Fastfood“. Also Studierende ermutigen, vielleicht auch didaktisch dazu bringen viel zu lesen.
Denn ich finde die Analyse sehr zutreffend: Rechtschreibung ist meist nicht das Problem, aber wer weder sicher in Grammatik ist, noch im Sprachstil des jeweiligen Fachs, der kommt meist kaum dazu irgendeine Argumentation nachvollziehbar dar zu legen.
PS: Ich hoffe ich disqualifiziere mich hier jetzt nicht mit etlichen Fehlern ;O) – Aber dies ist ja auch ein Blog und eben keine wissenschaftliche Abhandlung.
5. Mai 2012 um 18:50
Erst mal sorry für die verspätete Freischaltung der Kommentare! Aus welchem Grund auch immer hat die Kommentarbenachrichtigung versagt und ich war in den letzten Tagen zu eingedeckt mit Arbeit, um in den Blog zu schauen!
Danke für die Ergänzungen, die ich gut nachvollziehen kann. Lesen – JAAA – das wäre so wichtig und das tun immer mehr Studierende immer weniger.
Zur Kommasetzung: Mit den Neureglungen gibt es da ja inzwischen mehr Toleranz und alles mache ich da sicher auch nicht richtig. Aber meine These ist, dass viele das für schwieriger halten, als es ist!! Und weil es als so kompliziert gilt, gibt man sich gar nicht erst damit ab. Und das ist eine klassische Ausrede … 😉
Gabi
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