Gabi Reinmann

Hochschuldidaktik

Was wäre, wenn … Akt I des Blended Talk

Wie vor zwei Tagen bereits angekündigt, hier nun der erste Abschnitt meines Beitrags für die GMW  „Was wäre, wenn es keine Prüfungen mit Rechtsfolgen mehr gäbe? Ein Gedankenexperiment“. Der zweite folgt am Dienstag.

Was Prüfungen mit Exzellenz in der Lehre zu tun haben

Wann man Lehrveranstaltungen an Universitäten als herausragend, ausgezeichnet, erstklassig, genial, überragend, überwältigend etc. bezeichnen kann – und all diese Synonyme bietet z. B. der Duden für das Adjektiv exzellent an –, darüber herrscht keine Einigkeit. Nicht nur, aber wohl auch dafür verantwortlich ist die Tatsache, dass Exzellenz eine relative Eigenschaft ist: Wenn man nämlich etwas, z.B. ein Lehrangebot, als herausragend bewertet, muss man wissen, aus was, z.B. aus welchem durchschnittlichen Niveau, dieses herausragt. Es kommt also darauf an, welchen Vergleichsmaßstab man bei der Suche und Bescheinigung von Exzellenz in der Lehre heranzieht bzw. welche Kriterien dafür verwendet werden.

Seit der Bologna-Reform und ihrer Umsetzung (im deutschsprachigen Raum) scheint vor allem der Kompetenzbegriff Kriterien für die Exzellenz von Lehre liefern zu können. Zum einen gilt es bereits als Exzellenz-Kriterium, wenn man den Blick auf die resultierenden Kompetenzen bei Studierenden als den „Output“ lenkt anstatt auf die Qualität der Lehrinhalte, deren Aufbereitung und gewählten Aktivierungs- und Betreuungsformen als den „Input“. Es ragt also derjenige heraus, der sich auf das konzentriert, was aus der Lehre „herauskommt“, gegenüber dem, der seine Aufmerksamkeit darauf lenkt, was er in die Lehre „hineinsteckt“. Zum anderen wird es als Exzellenz-Kriterium angesehen, wenn man bei den Ergebnissen von Lehr-Lernprozessen das Können, bzw. genauer: die berufliche Handlungsfähigkeit, fokussiert anstatt das Wissen, das allenfalls eine (nicht einmal sichere) Grundlage von Handeln sein kann. Es ragt also derjenige heraus, der sich anstrengt, Studierende für die (Berufs-) Praxis handlungsfähig zu machen, gegenüber dem, der sich damit begnügt, Studierende zum Denken zu bringen.

Eine Kompetenzorientierung in diesem Sinne kann man nun für die Universitäten als erstrebenswert erachten oder man kann dies begründet kritisieren. Zu welchem Urteil man hier gelangt, dürfte unter anderem auf den Kompetenzbegriff ankommen, dem man sich anschließt (vgl. Reinmann, 2011), aber auch auf die Position zum Zweck und zur Rolle von Universitäten in unserer Gesellschaft, die man vertritt (vgl. Brandt, 2011). Das aber möchte ich an der Stelle nicht diskutieren. Vielmehr möchte ich meinen tiefen Zweifel daran zum Ausdruck bringen, dass diese für die gesamte Exzellenz-Debatte so wichtige Kompetenzorientierung in einem auch nur annährend sinnvollen Zusammenhang mit dem Prüfungssystem an unseren Universitäten steht. Dafür habe ich folgende Gründe:

Auf der einen Seite muss eine Bildungsinstitution, die vorgibt, den „Output“ in den Mittelpunkt des Interesses zu stellen, irgendwie nachweisen, dass sie diesen erbringt, wozu Prüfungen mit Selektions- und Ranglisten-Charakter als adäquates und einziges Mittel erscheinen. Auf der anderen Seite ist genau diese Denkart in Richtung einer „Produktion von Kompetenzen durch die Lehre“ angesichts unserer Erkenntnisse über Lernen und Bildung völlig widersinnig, denn: Lehre kann Kompetenzen nicht „herstellen“ wie ein Produkt. Auf der einen Seite muss eine Bildungsinstitution, die infolge des politischen Willens immer mehr junge Menschen zu einem Studienabschluss führen soll, die im Studium erworbenen Kompetenzen effizient abprüfen, da sie nur sehr begrenzte Ressourcen zur Verfügung hat. Auf der anderen Seite ist ebenso bekannt, wie stark sich Kompetenzen im Sinne von Handlungs- und Problemlösefähigkeit einer einfachen und damit auch effizienten Überprüfung entziehen.

Trotz offensichtlicher Widersprüche dieser Art aber wird getan, als seien die aktuellen Rahmenbedingungen an unseren Universitäten und die bestehende Prüfungspraxis einerseits sowie die versprochene Kompetenzorientierung und angestrebte Exzellenz in der Lehre andererseits problemlos unter einen Hut zu bringen.

 

6 Kommentare

  1. Ich habe dieses Mal keine Verständnisfragen und beschränke mich darauf, Akt I in meinem Netzwerk weiterzuleiten.

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  3. Vielen Dank für diese Möglichkeit der Auseinandersetzung und Beteiligung!

    Der Sozialnormbezug ergibt sich nicht zwingend aus der Exzellenzorientierung – durch herausarbeiten von Alleinstellungsmerkmalen im Rahmen der Diversifikation wird vielmehr eine kommunikative Zusicherung der Selbstdisziplin notwendig.
    Input-Orientierung in Bezug auf die Lernenden (z.B. Eignungsfeststellung) könnte damit nicht nur als Investitions-Risiko-Reduzierung (ein Anderes hätte aus dem Studienplatz mehr gemacht …) gedacht werden, sondern auch eine Selbsterfüllung unterstützen.
    Wenn also davon ausgegangen werden muss, dass Lehre ‚Kompetenzen‘ nicht produktiv herstellen kann, dann ist es von Vorteil, wenn das Produkt die Veredelung schon mitbringt oder zumindest selbst dafür sorgt.
    Das lernende Subjekt wird dann in die Verantwortung entlassen aus den unbestreitbar angebotenen Lernmöglichkeiten ein positives Kompetenzdelta zu erwirtschaften.
    Dabei könnte diese Form der Chancengleichheit auch als ein Resultat einer schleichenden Kapitulation der tradierten Lehrwirtschaft hinsichtlich der überbordenden Informationsflut und Komplexität der Wirkungsgefüge gesehen werden.
    „Dank ‚e‘ ist ja eigentlich schon alles da – nur noch hinsurfen und reinziehen … und das mit dem Zertifizieren muss doch auch schneller gehen“ – das aktual Gewusste/Gekonnte erfährt mit der Kompetenz ’sich Wissen aneignen zu können‘ eine gewaltige Entwertung. (gilt natürlich nicht für Notärzte!)
    Ein nur auf das lernende, zu prüfende und zu zertifizierende Individuum fokussierter Blick blendet dabei allerdings aus, dass die auf Vertrauen begründeten Formen des Ineinandergreifens von Forschung, Lehre und Lernen einer inneren Ersetzung unterzogen sind. Exzellenz ist hier nur eine von mehreren Zutaten, welche im Selbstverständnis der individuellen und institutionalisierten Akteure zu einer Wesensänderung führt – Orientierungslosigkeit eine andere. Orientierung zu geben wäre nun aber gerade eine pädagogische Kernaufgabe. Als life-long-learners sind wir jedoch nachsichtig genug, den Lehrenden ihren Rückzug auf unanfechtbare objektivierte Handlungen (z.B. MC-Prüfungen – aber auch Frontalunterricht als Reaktion auf G8 …) zu zu gestehen. Wir erkennen an, dass die Informations- und Wissensflut zunächst ein Problem der Lehrenden ist – einmal in Form ihres Selbstlernens und zum Zweiten als Verdrängung durch Verfügbarkeit. Wenn also die Forschung ob ihres exponentiellen Informationszuwachses sich nicht mehr 100% über die Beschaffenheit ihrer eingeschlagenen Wege (z.B. Alexander Unzicker: Auf dem Holzweg durchs Universum) sicher sein kann, wie soll eine Lehrinstitution hier den Spagat schaffen? Also ist uns allen klar, dass wir zukünftig ausgeschlossen bleiben werden aus der Klasse der Universalgenies und daher konzentrieren wir uns auf Nützliches. So kann das Gefüge dann auch bestehen bleiben und an den tradierten Nahtstellen (Prüfungen) festgehalten werden.
    Im Rahmen der Verantwortung für die ausgestellten Zertifikate werden Lehrende sich immer eine Legitimation (Alibi) für differierende Bewertungen verschaffen müssen – den Lernenden als auch dem Markt gegenüber.

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