Im Zuge der Diskussion um die Evidenzbasierung der Hochschullehre wird öfter auch das Konzept „Scholarship of Teaching (an Learning) – meist abgekürzt mit SoTL – angeführt. In einem Text (Reviving the ancient virtues in the scholarship of teaching, with a slight critical twist) von 2015 (in der Zeitschrift Higher Education Research & Development) bringt Carolin Kreber einen weiteren Aspekt in die Diskussion, den ich als ausgesprochen wichtig ansehe: SoTL, so ihre Argumentation, sei nicht nur eine evidenzbasierte Praxis (evidence-based practice), sondern auch eine „virtue-based practice“ Praxis. Es ist schwer, „virtue“ im Kontext dieses Textes angemessen zu übersetzen: Aufgrund seiner Bezüge auf antike Konzepte läge der Begriff der „Tugend“ durchaus nahe, aber dieser Begriff ist ohne philosophische Kenntnisse zeitgemäß nicht einfach anzuwenden. „Werte“ oder „Werthaltungen“ scheint stellenweise eine passende Beschreibung zu sein, stellenweise aber auch wieder nicht. Vielleicht erweisen sich alte Bezeichnungen wie „Vermögen“ im Sinne einer Stärke oder besonderen Eigenschaft als geeignet. Unabhängig davon versuche ich mal, die aus meiner Sicht besonders interessanten Botschaften des Textes zusammenzufassen.
Zunächst einmal ist es für SoTL wichtig, sich drei mögliche Qualitäten von Wissen ins Bewusstsein zu rufen, die alle (und nur zusammen) für eine gute und verantwortliche Lehre wichtig sind: nämlich theoretisches Wissen im Sinne von wissenschaftlicher Erkenntnis (theoretical knowledge; episteme), Herstellungswissen im Sinne einer Kunstfertigkeit (productive knowledge; techne) und praktische Klugheit oder Weisheit (practical knowledge/wisdom; phronesis). Während es bei der wissenschaftlichen Erkenntnis um die Frage geht, was wahr ist, geht es beim Herstellungswissen um die Frage, was am besten funktioniert und wirkt; bei der praktischen Klugheit dagegen, so Kreber, drehe sich alles um die Frage, welches Tun in einer besonderen Situation erstrebenswert oder wünschenswert ist – oder anders formuliert: Hier geht es um ein situativ angemessenes Urteil auch unter Bedingungen der Unsicherheit und in der Folge um so etwas wie Urteilskraft.
Die Relevanz des theoretischen Wissens (episteme) für SoTL lässt sich laut Kreber in zweifacher Weise deuten: als Wissenschaft im Sinne von zu prüfenden Hypothesen und als Philosophie im Sinne neuer Deutungen komplexer Phänomene und Vorstellungen. Herstellungswissen ist in SoTL aus Krebers Sicht nicht immer ganz leicht vom theoretischen Wissen zu trennen, denn: SoTL zeichnet sich gerade dadurch aus, dass die Lehrpraxis mit der Forschungspraxis zum Lehren verknüpft wird: „When we enquire into teaching from the virtue of techne – asking ‘is what we do effective’ – our actions not only resemble science in the underlying technical or instrumental rationality of the question but may actually lead to scientific knowledge (episteme)“ (p. 573). Eine besondere Bedeutung hat die praktische Klugheit für das Lehren, denn weder theoretisches Wissen noch Herstellungswissen sei für SoTL ausreichend. Kreber verweist unter anderem auf Schöns Konzept vom „reflective practioner“, fordert aber, dieses stärker mit dem Aspekt der (wissenschaftlichen) Kritik anzureichern.
Zum Nachdenken hat mich auch Krebers Vorschlag gebracht, zwei verschiedene Versionen von evidenzbasierter Praxis (im Zusammenhang mit SoTL) zu unterscheiden: Das ist einerseits der Nachweis instrumenteller Wirksamkeit einer Intervention (evidence of instrumental effectiveness), was wohl dem entspricht, was in der Regel (wenn auch nicht unwidersprochen) gemeint ist, wenn man von Evidenzbasierung spricht: Forschung liefert Lehrenden Belege dafür, dass es für höhere Wirksamkeit besser ist, X statt Y zu tun – oder umgekehrt; hierzu brauchen wir vor allem Herstellungswissen (techne). Andererseits kann man aber auch den Nachweis innerer Stimmigkeit zwischen Strategie und Bildungszweck (evidence of the internal consistency) im Blick haben: „The rationality implied in this version of evidence-based practice is not instrumental but practical and evokes the virtue of phronesis“ (p. .577). Zu ergänzen wäre noch Krebers Plädoyer, dass nicht nur explizite Lehrforschung zu SoTL gehört, sondern dass auch informelle Formen der professionellen Auseinandersetzung mit Lehre, die wesentliche SoTL-Standards erfüllt (fundierte Wissensbasis – Forschungsorientierung – kritische Reflexivität – Peer-Review und Öffentlichkeit), als dem Konzept zugehörig angesehen werden.
Mit gefällt Krebers Text unter anderem deswegen sehr gut, weil er zum einen das Konzept der Evidenzbasierung nicht einfach nur kritisiert, sondern das Konzept sinnvoll erweitert, und weil er zum anderen das Wissenschaftsverständnis, das sich für SoTL eignet, behutsam ausweitet und philosophische Überlegungen integriert.
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