Eigentlich bräuchte ich jetzt ganz viel Zeit, um mir gründlich Gedanken über das zu machen, was ich in der ruhigeren Zeit während meiner „Sommerpause“ (unter anderem) gelesen habe. Im Moment kann ich aber nur einen kursorischen Überblick geben – in der Hoffnung (und mit der Absicht), das eine oder andere in nächster Zeit doch noch einmal zu vertiefen.
Ich beginne mal mit Karl Jaspers und „Die Idee der Universität“ – oh je, höre ich da einige schon sagen. So ein altes Zeug. Und ja, da muss man natürlich den historischen Kontext im Blick haben, darf sich nicht daran stören, dass aus heutiger Sicht „unzeitgemäße“ Äußerungen dabei sind etc. Ich hatte Auszüge aus dem Buch schon mal vor langer Zeit gelesen. Nun aber habe ich es endlich ganz gelesen und mit andere Augen als noch vor Jahren. Das Buch ist jetzt voller Unterstreichungen und Anmerkungen – ganz analog – und wartet noch auf eine intensivere Aufbereitung. Mein Fazit: Wir brauchen (wieder) eine ernsthafte Auseinandersetzung mit der Frage, welche „Idee von Universität“ wir heute haben (wollen) – und zwar im Sinne einer Vorstellung, welche Rolle die Universität in unserer Gesellschaft spielen soll, in welchem Verhältnis sie zu anderen Bildungs- und Forschungseinrichtungen steht und was es heißen kann und soll, an einer Universität zu forschen, zu lehren und zu studieren. Das impliziert überhaupt nicht, rückwärtsgewandt zu denken und zu handeln und dazu alte Schriften inhaltlich als „Modell“ zu verwenden. Aber es kann heißen, unter anderem alte Schriften darauf hin zu prüfen, wie da argumentiert wird und inwieweit diese Impulse für einen Diskurs über eine „Idee der Universität“ in unserer Zeit geben könnten. Und letztlich entdeckt man neben allem Unzeitgemäßen doch auch bekannte und modern klingende Vorstellungen – auch bei Jaspers. Ein Beispiel: „Nicht das Wissen hilft, sondern die Fähigkeit, durch eigene Initiative sich überall das erforderliche Wissen zu verschaffen, die Fähigkeit, die Dinge denkend unter Gesichtspunkten aufzufassen, fragen zu können“ (Jaspers, 1946 [1980], S. 45). Jaspers Buch befasst sich grundlegend mit dem „Wesen der Wissenschaft“, mit „Forschung, Bildung und Unterricht“, mit der Institution, mit „Staat und Gesellschaft“ und den ökonomischen Grundlagen. Eine angemessene Zusammenfassung kann ich hier nicht leisten. Nur ein Zitat noch, weil es mir aus der Seele spricht: „Wo politischer Kampf an der Universität stattfindet, leidet die Idee der Universität Schaden“ (S. 120).
Nun gut, da würde jetzt Judith Butler vermutlich widersprechen. Von ihr habe ich einen Essay gelesen: „Kritik, Dissens, Disziplinarität“ – auf Deutsch 2011 im diaphanes Verlag erschienen. Sie setzt sich hier mit der Bedeutung akademischer Freiheit auseinander und betrachtet die Universität als Ort der Kritik, auf die Politik nicht zugreifen soll – und die damit unweigerlich politisch werde. Ich habe mir mit dem Essay zugegebenermaßen etwas schwer getan. Butler schreibt – so meine Wahrnehmung – verschlungen und argumentiert in einer für mich ungewohnten Form. Allerdings trifft sie offenbar auch einen Punkt, der mich dennoch anspricht, vermutlich mehr auf der Ebene des Erlebens als auf der des systematischen Nachdenkens. Ich werde das sicher nochmal lesen (müssen).
Ein paar Bezüge zu Butlers Argumenten gibt es in einem zweiten Essay von Jan Masschelein und Maarten Simons mit dem Titel „Jenseits der Exzellenz. Eine kleine Morphologie der Welt-Universität“ (ebenfalls im diaphanes-Verlag bereits 2010 erschienen). Auch hier habe ich keineswegs alles verstanden – die Fragezeichen sind hier allerdings etwas anderer Art und enthalten auch mehr Widerspruch. Die Ablehnung einer Idee von Bildung als Orientierung, die die Autoren her formulieren, leuchtet mir nicht ganz ein. Dagegen kann ich durchaus etwas mit dem Vorschlag anfangen, den Kern der Universität in einem „öffentlichen Gebrauch“ von Vernunft zu sehen. Auch das bedarf in jedem Fall einer genaueren Analyse, die ich an dieser Stelle wiederum gar nicht erst anfange, aber als Aufgabe auf meinem Schreibtisch platziere. Eindringlich ist die kritische Analyse der „unternehmerischen Universität“. Diese wird heute aufgefasst „als eine Organisation, die sich selbst als Teil eines Wettbewerbsumfelds sehen und sich auf ihre unternehmerischen Möglichkeiten konzentrieren soll, um produktiv Gebrauch von ihren Ressourcen zu machen und einen Bedarf zu decken“ (S. 28). Leider reiht sich da auch die aktuelle Nachhaltigkeitsdebatte zumindest sprachlich (allein schon mit dem Ressourcenbegriff) konsistent ein – mir kommt diese nämlich zunehmend vor wie ein Feigenblatt und eine Beruhigungspille für die Skeptiker und Verweigerer im „obsessiven Exzellenzstreben“ (S. 31).
Als interessierter Laie in der Philosophie mit Kooperationswille 😉 habe ich mir schließlich noch Michael Hampes Buch „Die Lehren der Philosophie“ vorgenommen – eine erweiterte Ausgabe mit interessanten Kommentaren von Kollegen, die Hampe seinerseits wieder rekommentiert (2016 erschienen im Suhrkamp Verlag). Drei Kapitel beschäftigen sich explizit mit Bildungsfragen; der Rest ist doch sehr umfassend und schlägt einen weiten Bogen – für den man entsprechend Zeit haben muss. Ein Kerngedanke aber bewegt sich durch das ganze Buch: die geistige Selbstbestimmung – also Autonomie – von „Einzelwesen“. Zwischen den Zeilen und am Ende des Buches scheint auch einiges an Universitätskritik auf, die sich als durchaus anschlussfähig an die systematische Kritik von Masschelein und Simons erweist. Ein längeres Zitat (zum Schluss) mag das veranschaulichen: „Doch so wie Menschen auf die Begrifflichkeit des Ökonomismus als alternativloser Beschreibung abgerichtet werden können und ihnen darüber ihre begriffliche Reaktionsfähigkeit auf ihr Leben abhanden kommen kann, ebenso kann man auf den Jargon der Eigentlichkeit und einen kritischen Begriffsklapperatismus abgerichtet werden, ohne eigene Einsichten zu haben. Ob ich ´Konkurrenz fördert Kreativität´, ´Denken ist nicht Rechnen´ oder ´Herrschaft führt zu Entfremdung´ schulgemäß äußere, ist unerheblich. Wichtig ist, ob die betreffende Äußerung eine eigene Erfahrung ermöglicht und daraus resultierende Einsichten artikulierbar macht oder ob ich mit der Chiffre lediglich anzeige, daß ich die Schule X durchlaufen habe und mich weiterhin zu ihr rechne“ (S. 454). Die Alternative zu „Sprechautomaten“ dieser Art sei die semantische Autonomie. Auch eine wunderbare Idee für die Universität von heute, wie ich finde!
Während des Lesens bin ich noch auf viele weitere interessante Texte und Bücher gestoßen – und habe mit Wehmut festgestellt, wie wenig Muße mir zu einem eben bisweilen auch assoziativen Lesen geblieben ist. Nur ausschnitthaft beschäftigt habe ich schließlich noch mit Hartmut Rosas Buch „Resonanz. Eine Soziologie der Weltbeziehung“. Dazu braucht man einen ganz langen Urlaub – oder eine andere Zeitorganisation, weniger „Input-Output-Relationen“ und kein schlechtes Gewissen, wenn man sich als Professor die Freiheit erlaubt, einfach mal zu lesen.
13. September 2017 um 14:21
Vielen Dank für den eindrucksvollen Überblick! Das Buch von Michael Hampe liegt seit Januar auf meinen „Lesetisch“ und Deinen Blogbeitrag werde ich zum Anlass nehmen, es doch zu wagen. Danke dafür 🙂
Viele Grüße
Conny K