Gabi Reinmann

Hochschuldidaktik

Forschung ist, wenn man im Büro sitzt

Als Wissenschaftler bzw. Hochschullehrer an einer Universität gehören Forschung, Lehre, wissenschaftliche Nachwuchsförderung und akademische Selbstverwaltung, in Leitungspositionen auch Führungstätigkeiten, zu den Dienstaufgaben. Neulich ging es im Zusammenhang mit einer Verwaltungsanfrage zur Reservierung von Räumen um die Frage, was alles als Forschung gelten kann und soll. Die offenbar ernst gemeinte Operationalisierung aus einer dafür zuständigen Verwaltungseinheit lautet: „Forschung ist, wenn man im Büro sitzt“. Aha! Aber eine Absurdität kommt ja erfahrungsgemäß selten allein. Die nächste geht so:

Wissenschaftliche Vorträge auf Tagungen, im Rahmen von Ringvorlesungen oder Forschungskolloquien an der eigenen wie auch an anderen Hochschulen, gehören, wenn sie denn der Wissenschaft dienen, zu den Dienstaufgaben, denn: Die Mitteilung von Erkenntnissen in Texten und Vorträgen, damit sie denn kritisierbar werden, ist Teil von Wissenschaft und Forschung (vorausgesetzt natürlich, dass man dafür sein Büro verlassen darf). Manchmal bekommt man Reisekosten von anderen Hochschulen ersetzt, wenn man für Vorträge eben reisen muss. Gibt es dafür eine Reise-Pauschale (versus genaue Abrechnung nach Belegen), so habe ich jetzt gelernt, muss ich den Vortrag als Nebentätigkeit anmelden. Jeder einzelne Vortrag wird also zur Nebentätigkeit und erfordert das Ausfüllen eines Formulars – das dafür allerdings gar nicht ausgelegt ist. Als „Dauer der Nebentätigkeit“ ist dann (so heißt es auf Nachfrage) die Vorbereitungszeit für den Vortrag anzugeben. Oh! Ja, wie berechnet man das denn? Ein Versuch.

Wenn ich einen Vortrag vorbereite, dann schiebe ich das in der Regel auf die Wochenenden oder auf die wenigen Tage, an denen keine Termine anstehen – also keine Lehre, keine Gremiensitzungen, keine (beliebter werdenden) Strategiesitzungen, keine Beratungsgespräche, keine Mitarbeitergespräche etc. Da ich keinen Vortrag über etwas halte, wovon ich keine Ahnung habe, greife ich natürlich auf das zurück, was ich mir bereits im Rahmen von eigenen Publikationen, über Lektüre, infolge laufender oder abgeschlossener Forschungsvorhaben etc. erarbeitet habe. Nun gut, ich vergesse auch vieles wieder, also muss ich doch nachlesen – das mache ich zwischen den oben genannten Terminen, in der S-Bahn, auf Reisen (wenn ich mal mein Büro verlasse) und wiederum an Wochenenden. Wie lange das dauert? Hmmm – drei Stunden, vier, vielleicht auch sieben bis acht?

Wenn der Vortrag ein mir wichtiges Thema beinhaltet, dann spreche ich darüber auch: mit meinen Mitarbeitern, mit engen Kollegen, mit meinem Lebenspartner. Und wann mache ich das? Nun integriert in Mitarbeitertreffen, wenn sich Gelegenheit bietet, Kollegen zu sprechen, manchmal läuft das per E-Mail – und ja: auch zuhause beim Frühstück und beim Nachmittagskaffee, denn: In der Tat ist Wissenschaft ja für viele Professoren eine Lebensform und das durchaus gewollt. Also – ja, so was, da kommen schon einige Stunden zusammen. Aber was davon fällt denn nun in die „Dienstzeit“ und was nicht und wie trenne ich das eine vom anderen – also die Forschung und andere Dienstaufgaben von der „Vorbereitungszeit-auf-den-Vortrag-als-Nebentätigkeit-aufgrund-der-Auszahlung-einer-Reisepauschale“? Ehrlich – keine Ahnung!

Wenn denn der Vortrag fertig ist, kann es im besten Fall so sein, dass ich diesen auch für die Lehre verwende, dass er mich auf einen neuen wichtigen Gedanken bringt, der als Impuls für ein neues Forschungsvorhaben wirkt oder auch nur eine neue Publikation initiiert – und all das gehört wieder zu meinen Dienstaufgaben. Der Vortrag, den ich also z.B. an einer anderen Hochschule gehalten habe, hat meiner Universität (über mich als wissenschaftlich tätige Person) einen Mehrwert erbracht, denn ohne den Vortrag wäre ich nicht in dieser Form weitergekommen: Müssten wir dann dieser Hochschule nicht vielleicht sogar ein Honorar bezahlen? Für diesen guten „Dienst“? Doch wieso sollte das dann eine „Nebentätigkeit“ sein, wenn das doch ganz offensichtlich der „Hauptsache“ meines Tuns dient? Aber hier schließt sich der Kreis zur Verwaltungsdefinition von Forschung: Wenn Forschung ist, wenn man im Büro sitzt (und Lehre ist, wenn man im Hörsaal steht – so die logisch folgerichtige Ergänzung, die ich oben noch gar nicht berichtet hatte), dann ist alles, was außerhalb passiert, wohl eine Nebentätigkeit … eine besser messbare Operationalisierung gibt es wohl nicht.

Bleibt zum Schluss die Frage, welche meiner Tätigkeiten in meiner durchschnittlich 60 Stunden umfassenden Woche in die eigentlich angesetzten 40 Stunden fallen und welche in die anderen 20 Stunden bzw. in den sogenannten Urlaub. Übrigens: Ich habe mal überschlagen, auf wie viele Wochentage ich komme, an denen ich tatsächlich nichts mache, was mit meinem Beruf zu tun hat – also ich komme da auf maximal 10 im Jahr – was keine Klage ist, denn ich liebe meinen Beruf, sonst würde ich das ja nicht so machen. Ich stelle es hier einfach nur mal fest.

Wie also die Frage beantworten, welche Vorbereitungszeit ich für einen Vortrag benötige, der mal als Nebentätigkeit zählt (wenn die Reisekosten etwa pauschal erstattet werden) und mal nicht (wenn sie nach Belegen erstattet werden). Ich bin ratlos, ehrlich! Ich könnte sagen: Mache ich in meiner „Freizeit“, also in den 20 Stunden pro Woche, die ich gar nicht in meinem Beruf arbeiten müsste. Oder ich nenne irgendeine Zahl: z.B. 18 Stunden. Beides ist Unsinn, wie diese Ausführungen hier zeigen. Beides geht an der Logik der wissenschaftlichen Tätigkeit eines Professors vorbei, ebenso an der Realität von Arbeitszeiten an Universitäten. Ein einfacher alternativer Vorschlag anstelle der Anzeige einer Nebentätigkeit für jeden wissenschaftlichen Vortrag (ob nun mit Reisepauschale oder auch mit einem kleinen Honorar): Da die Universität über Dienstreiseanträge sowieso immer weiß, wo ich mich gerade herumtreibe, möge sie mir vertrauen, dass ich meinen Beruf gewissenhaft und verantwortungsvoll in mit Sicherheit mehr als 40 Stunden pro Woche ausübe und werfe jedes Jahr einen Blick in meine Steuererklärung, die ich gerne zur Verfügung stelle, um sicher zu sein, dass alles rechtens ist. Ein guter Vorschlag? 🙂 Er würde uns jedenfalls allen viel Zeit und Energie sparen.

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