Lehre hat heute innovativ zu sein. Innovation gilt per se als gut und wer sich ihr widersetzt, ist rückständig und starrsinnig. In einer gemeinsamen Autoethnografie schildern zwei Autorinnen in eindrucksvoller Weise, wie sie mehr oder weniger freiwillig zu besuchende Workshops zur Umstellung der Präsenzlehre auf Blended Learning-Konzepte oder Online-Lehre als Ausdruck von Innovation erleben und warum sie dabei das Gefühl haben, dass eine Form von struktureller Gewalt im Spiel ist.
Warum ich über diesen Artikel mit dem Titel „Innovation-by-numbers: an autoethnography of innovation as violance“ von Helena Liu und Ekaterina Pechenkina viel nachgedacht habe, dürfte daran liegen, dass ich deren Beschreibung des körperlichen und mentalen Zustands in der weitgehend erzwungenen Beteiligung an diesen Innovationsworkshops und -prozessen selber kenne und entsprechend nachvollziehen kann. Dabei geht es nicht um Innovation und Digitalisierung per se; diese Begriffe könnte man auch austauschen mit „Nachhaltigkeit“, „Agilität“, „Exzellenz“, Qualität“ oder was auch immer – alles letztlich „Variablen“ zur Kennzeichnung vor allem „strategisch“ konzipierter Prozesse, die möglichst „partizipativ“ gestaltet werden, mit einem aufgesetzten „Wir“ und der bloß nicht zu hinterfragenden Devise, jetzt (!) die Zukunft zu gestalten – natürlich effektiver und effizienter als zuvor. In dem Text kommt meiner Einschätzung nach dieses Gefühl der Ohnmacht gut zum Ausdruck, das sich im Zuge solcher „strategischer Prozesse“ einstellen kann – gepaart mit einem Entsetzen über sich selbst, überhaupt „mit dabei zu sein“, ohne deutlicher die eigene Skepsis und die offenen Fragen zu artikulieren, sowie dem Empfinden schwindender Selbstbestimmung. Ja, das ist vielleicht eine treffende Beschreibung: Es fühlt sich an wie ein Angriff auf die persönliche Autonomie. Das ist durchaus schwer zu erklären, denn von einem Beobachterstandpunkt aus mag sich das so vermutlich gar nicht darstellen. Auch diesen Umstand beschreiben die beiden Autorinnen anschaulich und ermöglichen eben deshalb ein „Mitfühlen“ oder (falls man es selber kennt) „Nachfühlen“.