Sören Auer, Professor für Data Science und Digital Libraries an der Leibniz Universität Hannover, schreibt in der aktuellen Ausgabe von Forschung und Lehre (online zu lesen hier) über die immer noch nicht genutzten Potenziale digitaler Technologien für das wissenschaftliche Publizieren.
Als Problemstellung macht er aus: „Die Darstellung und die Weitergabe von Forschungswissen beruht auf veralteten Methoden, die vor Jahrhunderten entwickelt wurden. Seit Beginn der modernen Wissenschaft […] nutzen wir nämlich die immer gleiche Methode zur Darstellung und Weitergabe von Forschungsergebnissen: wissenschaftliche Artikel.“ Einer die Folgen sieht Auer darin, dass es zunehmend schwerer wird, selbst in gut umgrenzten Wissensgebieten relevante Literatur zu finden und daran mit der eigenen Forschung anzuschließen. Nun könnte man einwenden, dass heutzutage Bibliotheken ja schon einigermaßen digital geworden sind: Viele Fachzeitschriften sind digital verfügbar. Aber, so Auer, die bislang gedruckten Artikel gäbe nun als PDF-Dokumente, sodass Forschende in einer Flut von pseudo-digitalisierten Publikationen ertrinken würden. Gleichzeitig, so Auers Kritik, würden digitale Potenziale ungenutzt bleiben: etwa das Filtern großer Mengen von Daten und Informationen, das Einbinden von Informationen aus verschiedenen Quellen oder das Einbeziehen von Vielen zur Überprüfung und Unterstützung im Prozess des Organisierens. Zementiert werde auch das Problem mit dem Peer Review im aktuellen veralteten System (ein Problem, über das ich auch schon öfter mal gebloggt habe, etwa hier): „Der Peer-Review-Prozess, die zentrale Methode der wissenschaftlichen Qualitätssicherung, wird damit immer beliebiger, wie bereits auch durch mehrere Studien empirisch belegt wurde.“
Auer und sein Team arbeiten an einer Lösung: Als Ergänzung zu statischen PDF-Artikeln entwickeln sie einen dynamischen Wissensgraphen: Open Research Knowledge Graph. „In ihm sollen verschiedene Forschungsideen, -ansätze, -methoden und -ergebnisse für Menschen und Maschinen lesbar dargestellt werden. […] Wissenschaftler können damit ihre Forschungsergebnisse strukturiert beschreiben und mit anderen Ansätzen, die dasselbe Forschungsproblem lösen, vergleichbar machen. Solche Vergleiche des Stands der Wissenschaft können – ähnlich wie bei einem Wiki – von anderen Wissenschaftlern editiert, kommentiert und diskutiert werden“.
Ich halte solche Entwicklungen für wichtig und es gibt ja auch immer wieder verschiedene Anläufe in diese Richtung, glaube aber, dass es noch lange dauern wird, bis sich solche alternativen Publikationsformen durchsetzen: Zu starr ist dieses System, zu etabliert sind die damit verbundenen Gratifikationen, zu internalisiert ist das Bestehende in den Köpfen der Forschenden, die neben ihrer Forschung natürlich immer auch ihre wissenschaftliche Karriere im Blick haben. Was mir bei solchen (wichtigen) alternativen Überlegungen und Entwicklungen allerdings fehlt, ist eine ausreichende Reflexion der Unterschiede verschiedener Typen von Forschung: Auch wenn die Web-Seite zur Beta-Version des dynamischen Wissensgraphen suggeriert, dass das interdisziplinär gedacht ist, glaube ich doch, dass Auers Grundüberlegungen vor allem für die Forschung in den Naturwissenschaften, gegebenenfalls auch für die empirisch arbeitenden Sozialwissenschaften geeignet ist. Überall da, wo man längere Argumentationen braucht, wo es eben nicht so einfach ist, einzelne Erkenntnisse zu dekontextualisieren, müsste man vermutlich schon noch einige weitere Ideen haben, wie sich digitale Potenziale effektiver als bisher als neue Publikationswege jenseits der PDF-Dokumente nutzen lassen.