Gabi Reinmann

Hochschuldidaktik

Holländische Wohnzimmer

Gestern hatten wir Jan Schmidt (mit dt) bei uns in Augsburg zu Gast:  Vor unseren wissenschaftlichen und studentischen Mitarbeitern am Institut, Doktoranden und auch einer ganzen Reihe von Studierenden hat er einen Vortrag zum Thema „Persönliche Öffentlichkeiten im Web 2.0“ gehalten und dabei – so der Untertitel des Vortrags – „Merkmale und Konsequenzen des onlinegestützten Identitäts-, Beziehungs- und Informationsmanagements“ erläutert.  Der Begriff der „persönlichen Öffentlichkeit“ wurde allem voran über die Merkmale und Prozesse bei der Nutzung von Social Networks verdeutlicht, wobei ein interessanter Hinweis darin bestand, dass man – wie im „echten Leben“ – in verschiedenen virtuellen Netzwerken natürlich auch verschiedene Rolle (Identitäten?) haben kann. Blogs, so eine der Botschaften, scheinen ihre Multifunktionalitäten langsam zu verlieren: die Netzwerkbildung verschiebt sich auf Xing, StudiVZ oder Lokalisten; das Micro-Blogging findet auf Twitter statt – es bleibt der längere, reflektierte Beitrag auf dem Blog? Das sind natürlich nur Thesen, aber mir leuchten diese durchaus ein.

Am Ende seine Vortrags brachte Jan Schmidt eine interessante Analogie – nämlich die von holländische Wohnzimmern, deren Fenster traditionell keine Vorhänge haben: Ein Foto zeigte nun ein Haus, das kompletten Einblick in die Wohnzimmer ließ – nicht nur über ein kleines Fenster (ohne Vorhänge), sondern über eine große Glasfront. Der Holländer – so Jan Schmidt – bliebe nun aber auf der Straße nicht stehen und schaue den anderen unverhohlen ins private Zimmer, denn das mache man einfach nicht. Was damit schön deutlich wird: Es gehören immer zwei zum viel diskutierten „Entblößungsproblem“: der, der zeigt, und der, der sucht und schaut. Wir haben, weil es ein schöner Einstieg in die Diskussion war, natürlich erst einmal durchaus kontrovers diskutiert, inwiefern dieser Vergleich passend, aber eben auch schief ist (was ja das Geniale an einer guten Analogie ist, dass man mit ihr arbeitet und eben Parallelen UND Unterschiede sucht). Beispiel: Spricht es gegen den Bewerber, wenn er neben einem sachlichen Profil in Xing auch in StudiVZ ein Profil mit vielleicht nicht immer ganz glücklichen Schnappschüssen für sein informelles Netzwerk hat, oder spricht es eher gegen den Personaler, der in Communities, die nicht für ihn bestimmt sind, nach zusätzlichen Informationen sucht?

Ich sage danke an Jan Schmidt und die interessierten Zuhörer und Diskutanten für den anregenden Nachmittag (PS: Wir haben zuhause auch keine Vorhänge).

4 Kommentare

  1. Hallo Gabi,
    ich habe in den USA beobachtet, dass in größeren Häusern oft ein Vorzeigewohnzimmer zur Straße raus gerichtet ist, das dann auch keine Vorhänge hat. Im hinteren Teil des Gebäudes befindet sich dann DAS Wohnzimmer, das die Familie tatsächlich nutzt. Wenn man diesen Gedanken mal weiterspinnt, kann man auch das mit sozialen Netzwerken vergleichen. Denn ein Profil bei XING kann analog zum schönen Wohnzimmer mit aufgeschüttelten Kissen und stylischem Interior gesehen werden, während das wohnliche Hinterzimmer (meist mit viel gemütlicher Einrichtung 😉 ) nur wenigen vorbehalten bleibt. Die Vorhänge werden also bewusst weggelassen, da man WILL, dass jemand reinsieht. Private Orte werden dennoch von der Öffentlichkeit verborgen.
    Tamara

  2. @Tamara: Da braucht man aber viel Platz für diese Show 😉

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  4. Ich war ehrlich gesagt etwas enttäuscht von dem Vortrag, hatte mir mehr Substanz von DEM Blogexperten Deutschlands erhofft. Eigentlich wähnte ich mich die ganze Zeit über in einem typischen MuK-Referat. Nicht, dass MuK-Referate schlecht wären (da würde ich mich ja selbst degradieren :), die Thematik war interessant. Aber ich bin sicher, dass der Vortrag mit studentischen Referenten genau so oder gar besser abgelaufen wäre. Herr Schmidt konnte mich in dieser Hinsicht nicht von seinen Kompetenzen überzeugen; zu oft hat er vage angedeutet, dass da bald eine Studie käme, mehr als einmal zeigte er veraltete Daten aus KIM/JIM-Studien von vor 2 Jahren. Wie man Facebook und studivz bedient, dürfte dem Publikum bekannt gewesen sein und bot von daher nichts Neues.
    Wenn er schon von seiner Spezialität, den Blogs, abwich, wieso griff er dann dann aktuelle und spannende Entwicklungen und Themen wie Twitter oder Obama’s Wahlkampf nur marginal auf?
    Zum Thema digitale/multiple Identitäten habe ich hingegen aus folgendem Podcast inhaltlich wesentlich mehr mitgenommen:
    http://tinyurl.com/digit-ident
    Der ZÜNDFUNK Generator-Podcast von Bayern 2 ist auch im Allgemeinen wärmstens zu empfehlen.
    Beste Grüße,
    Patrick