Gabi Reinmann

Hochschuldidaktik

Ein funktionierendes Kollektiv?

Gleich zwei virtuelle Podiumsdiskussionen zur Hochschullehre haben wir zum Abschluss unserer HUL-Online-Konferenz-Woche am Freitag-Nachmittag angeboten. Beide Gesprächsrunden mit je fünf Teilnehmerinnen und Teilnehmern (zu finden unter dem obigen Link im Menüpunkt Freitag 14-18) drehten sich um die Frage, was nach der Pandemie (oder im Übergang zu einer postpandemischen Zeit) wohl bleibt von den, ich sage mal, digitalen Errungenschaften aus den (erzwungenen) Digital-Semestern, was wieder gehen wird oder vielleicht auch neu kommen kann. Eine Übersicht über unsere Gesprächspartner findet sich hier.

Ich war etwas besorgt, ob und wie die Podiumsdiskussionen in Gang kommen, denn wir sprechen alle schon viel über (digital umgesetzte) Lehre seit der Pandemie, und so wäre nicht auszuschließen, dass es da inzwischen eine gewisse Diskussionsmüdigkeit gibt. Aber dem war aus meiner Sicht nicht so. Die Erfahrungen ebenso wie die Blicke in die Zukunft der insgesamt zehn Personen wiesen sowohl Parallelen als auch interessante Unterschiede auf. Ich versuche mal, auf den Punkt zu bringen, was mir besonders gut in Erinnerung geblieben ist.

In unseren beiden Runden zeigte sich, dass lehrende Fachwissenschaftler teilweise ein sehr hohes Maß an Expertise zur digital umgesetzten Lehre aufgebaut haben. Vor der Pandemie habe ich jedenfalls selten so versierte und reflektierte Berichte und Einschätzungen zur Gestaltung von Hochschullehre gehört. Einige sprachen auch ganz explizit von einem, wenn auch erst mal unfreiwilligen, Qualifizierungsschub, andere wirkten so, als hätten sie nie anders als professionell über Lehre nachgedacht und entsprechend gehandelt. Da ist spürbar etwas passiert, würde ich sagen.

Trotzdem hoffen alle wieder auf positive Präsenzerlebnisse, allerdings mit durchaus diversen Bewertungen: Da gibt es die einen, die davon überzeugt sind, dass sie erst mit der Präsenz wieder einen ausreichend guten Zugang zu ihren Studentinnen und Studenten finden, und sich erleichtert zeigen, dass die digitalen Ersatzhandlungen im kommenden Semester zumindest weniger erforderlich sein werden (hoffentlich). Gute Gründe dafür sind disziplinär unterschiedlich: Da sind zum Beispiel die haptischen (etwa in der Physik) oder kritischen Momente (etwa in den Geisteswissenschaften), die im digitalen Raum keine oder wenig Chancen haben. Es gibt aber auch die anderen, für die ein Zurück zur Präsenz vor Corona eigentlich nicht mehr möglich ist. Es ist die Rede von einer Präsenz, die jetzt immer zu erweitern sei mit dem Digitalem, von einer „cleveren Präsenz“, die sich von der „dumpfen Präsenz“ vorpandemischer Zeiten unterscheiden müsse, von einer didaktisch durchdachteren Präsenz, weil die Digital-Semester gezeigt hätten, wie nötig das didaktische Durchdenken ist, von einer „diversen Präsenz“, weil man gelernt habe, dass nicht alles für alle immer gleich gut ist – bezogen auf Studenten und Hochschullehrinnen gleichermaßen. Mehrheitlich wollen auch unsere Gesprächsteilnehmerinnen nicht zur „alten Präsenz“ (auch nicht zum früheren Vor-Ort-Büroalltag) zurück, sondern die Erfahrungen aus den Digital-Semestern mitnehmen und nutzen. In der Politik, so die Kritik vor allem im zweiten Podium, scheint das allerdings noch nicht angekommen zu sein: Hier herrscht offenbar die Meinung, alle seien glücklich, wenn es nur wieder genau so werde wie vor Corona.

Apropos Politik: In beiden Gesprächsrunden wurden auch die rechtlichen Rahmenbedingungen für die Hochschullehre thematisiert. Verordnungen für die Lehre, Regelungen zur Anerkennung von „digitaler Lehre“ müssten dringend angepasst werden. Zumindest in Hamburg lesen sich viele Paragrafen so, als hätten die Verantwortlichen noch eine Vorstellung von Hochschullehre, die irgendwo Mitte des 20. Jahrhunderts stehengeblieben ist. Dass es übrigens auch anders geht – das sei hier nur meinerseits angemerkt – zeigt die TU Graz: In deren Satzung (hier, Seite 19) steht unter anderem: „Die Lehrenden können die für die Lehrveranstaltung vorgesehenen Kontaktstunden in Form von synchroner virtueller Lehre abhalten, sofern im Curriculum nichts anderes vorgesehen ist. [….] Die*der zuständige Studiendekan*in kann im Einzelfall die Abhaltung der für die Lehrveranstaltung vorgesehenen Kontaktstunden ersatzweise in Form von asynchroner virtueller Lehre genehmigen.“ Man fragt sich da schon: Warum geht das nicht überall so?

Nicht wenige zeigten sich in den beiden Podien letztlich überrascht darüber, wie gut die Hochschulen auch während der Pandemie trotz aller Hürden und Bürden funktioniert hätten – allerdings zu dem durchaus hohen Preis: Viele hätten „bis zum Anschlag“ gearbeitet und sich in hohem Maße eingesetzt (stimmt) – freilich nicht alle, aber doch so viele, dass „das Kollektiv“ eben funktioniert hätte. Austausch unter Kolleginnen nicht nur an der eigenen Hochschule, sondern auch aus der Fachgemeinschaft unabhängig vom organisationalen Hintergrund hätten dabei viel geholfen; auch die Unterstützung von E-Learning- und hochschuldidaktischen Einrichtungen wurden mehrfach als sehr unterstützend erwähnt. In beiden Gesprächsrunden war keine Spur von einseitiger Kritik etwa an Hochschulleitungen oder Kolleginnen, an Studenten oder an sonst jemanden. Im Gegenteil! Was aber aus meiner Sicht in den Diskussionen durchschien, war die Sorge (ich teile sie), dass Hochschulleitungen, Kollegen, Studentinnen, vielleicht auch man selbst wieder zurückfallen könnten in alte Muster, was dann all die erstaunlichen Lernerfahrungen verblassen lässt.

Ich danke unseren Gesprächspartnern für die interessanten zwei Podien und hoffe, dass alle Beteiligten ebenso wie die Zuhörinnen und Zuhörer (allzu viele waren es leider nicht) von diesem Nachmittag ein wenig profitiert haben.

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