In diesem Blog habe ich schon des Öfteren auf Schriften von Peter Goodyear verwiesen (z.B. hier): „Teaching as Design“ etwa ist in Konstrukt, das ich für sehr fruchtbar in der Hochschul-/Wissenschaftsdidaktik halte. In Goodyears Arbeiten finden sich zudem immer wieder interessante Bezüge zu Design-Based Research. Ein aktueller Text (Hinweise dazu finden sich auf Goodyears Blog hier) nimmt ein Thema, das unter Carolin Kreber bereits im Kontext der Hochschulbildung bearbeitet hat, nämlich die Bedeutung der Wissenstypen Episteme, Techne und Phronesis (siehe dazu hier).
Nun gibt es noch einen vierten Wissenstyp, den aber wohl selbst die alten Griechen vernachlässigt haben: Metis. In aller Kürze und vereinfachend zusammengefasst, lässt sich festhalten: Episteme steht für rational fundiertes, dekontextualisiertes, abstraktes oder theoretisches Wissen. Techne bezeichnet eine Art handwerkliches Können, ein kontextualisiertes, praktisch begründetes Wissen. Beide Wissenstypen gelten als prinzipiell explizierbar, können also auch gelehrt werden. Im Unterschied dazu steht Phronesis für praktische Klugheit oder Weisheit; wie Techne handelt es sich um eine praktische, auch moralisch begründete Form von Wissen, die aber eher implizit bzw. schwer zugänglich ist und entsprechend schlecht oder gar nicht gelehrt werden kann. Metis teilt mit Phronesis die Eigenschaft des Impliziten. Metis wird recht metaphorisch umschrieben als eine Form des Wissens (als Prozess), um in riskanten, ambivalenten Situationen gewissermaßen zu überleben, wozu eine Art Gerissenheit nötig ist. Goodyear ergänzt, dass Metis den anderen Wissenstypen die Fähigkeit hinzufüge, diese zu orchestrieren, um übergeordnete Kräfte zu überlisten, also aus äußerts schwierigen, weder nach logischen noch moralischen Regeln zu bewältigenden, Situationen wieder herauszukommen. Oder in Goodyears Worten formuliert (Goodyear, 2022, p. 143*): „In sum, we can understand métis as embodied intelligence in action: fit for uncertain, ambiguous spaces and unequal competitions. […] we can see métis, more narrowly, as a resource for resolving or side -stepping the tensions and contradictions that arise in organisations that are being shaped by complex, competitive forces”.
Es geht in Goodyears aktuellem Text nicht um Hochschulbildung, sondern um berufliche Praxis generell, unter die man aber durchaus auch das Lehren an Hochschulen subsumieren kann. Wenn ich mich jetzt selber frage, warum ich das interessant finde, ist das gar nicht leicht zu erklären: Die seit nunmehr zwei Jahren anhaltende COVID-19-Pandemie geht vermutlich an den meisten Menschen nicht spurlos vorbei (für mich gilt das in jedem Fall). Sie hinterlässt auch an der Universität und universitären Lehre ihre Spuren und ich denke zunehmend mehr darüber nach, was sich verändert hat: Ich meine, es ist die größer gewordene Unsicherheit, unter der wir nun leben, aber eben auch lehren (und lernen). „Lehren unter Unsicherheit“ ist ein Thema, das ich in 2022 konkreter angehen möchte, und dieser Text von Goodyear zur vergessenen und „wiederzuentdeckenden“ Metis trifft aus meiner Sicht eben diesen Nerv.
* Goodyear, P. (2022). Professional practice and knowledgeable action in turbulent times: rediscovering mètis. In in: J. Higgs, D. Tasker, N. Patten, & J. Orrell (Eds.), Shaping wise futures: a shared responsibility. (pp. 137-153). Leiden: Brill.