In Peter Baumgartners Blog findet sich eine interessante Zusammenstellung von verschiedenen Ansätzen zu sowie eine Diskussion um sogenannte Entwurfsmuster bzw. didaktische „Pattern“. Ausgangspunkt ist der (bereits erfolgte) Workshop „E-Learning-Patterns“ am Institut für Wissensmedien in Tübingen. Peter hat ausführlich verschiedene Online-Ressourcen zusammengestellt, aber auch seine Skepsis gegenüber aktuellen Ansätzen zum Ausdruck gebracht, auf die Christian Kohls vom Institut für Wissensmedien ausführlich reagiert hat (hier).
Worum geht es? Bei e-teaching.org kann man folgende Erklärung lesen: „Patterns (dt. Muster) sind ein systematischer Weg, erprobte Lösungsformen für wiederkehrende Problemstellungen zu dokumentieren und klassifizieren. Die Grundlage hierfür sind stets Erfahrungen aus der Praxis. Ein didaktisches Muster erfasst die Regelmäßigkeiten erfolgreicher Praktiken (good/best practices) mit der Zielsetzung, erprobte Methoden, Szenarien, Aufbereitungstechniken wiederzuverwenden und auf neue Gestaltungsaufgaben zu übertragen. … Dabei ist es nicht nur Ziel, die Regelmäßigkeit in der Lösungsform zu erfassen, sondern auch das dazugehörige Problemfeld mit seinen wiederkehrenden Kontexten, Situationen und Gegebenheiten, in denen das Problem auftritt.“ Zudem wird (hier) auf eine ganze Reihe solcher schon bestehender Sammlungen verwiesen.
Ich habe mich mit diesem Ansatz noch nicht intensiver beschäftigt, obschon mir der Begriff natürlich schon öfter untergekommen ist. Meine ersten Reaktionen sind eher zurückhaltend, weil ich den Verdacht habe, dass wir es hier womöglich mit einem nicht zwingend notwendigen Begriff zu tun haben (warum ich das jetzt so vorsichtig formuliere, weiß ich auch nicht). Diesen Verdacht hat man ja immer dann, wenn man „Muster“ entdeckt, um im Bild zu bleiben, also Ähnlichkeiten zu bekannten Begriffen, älteren Konzepten oder bestehenden Forschungstraditionen sieht. Wo sehe ich die?
- Zunächst einmal fällt mir auf, dass es ja wohl eines des größten Ziele in Pädagogik und Didaktik ist, zumindest Heuristiken für die Gestaltung von Lernumgebungen und Lernsituationen anzubieten, zu entwickeln und zu erproben. Hier gibt es eine umfangreiche Tradition und natürlich erhofft man sich davon auch so etwas wie Vorlagen, Vorbilder oder Regeln für die Praxis, von denen jeder weiß, dass man sie an die jeweilige Situation natürlich anpassen muss.
- Des Weiteren denke ich an die Expertiseforschung, die ja eigentlich auch genau das macht, was man in Pattern-Ansätzen postuliert: nämlich Experten daraufhin zu untersuchen, wie sie Probleme wahrnehmen, Wissen organisieren und in komplexen Problemsituationen erfolgreich handeln. Auch daraus hofft man, Heuristiken oder mehr ableiten und sogar für technische Systeme (Stichwort Case Based Reasoning) nutzen zu können.
- Schließlich versucht man gerade mit Forschungsstrategien wie Design-Based Research oder Methoden der Entwicklungsforschung unter anderem auf „Entwurfsmuster“ in dem Sinne zu kommen, dass man Lehrenden praktisch nützliche und vor allem kontextsensitive Vorlagen zur adaptiven Nutzung an die Hand geben kann.
- Nicht zuletzt hat man auch im Wissensmanagement mit Methoden wie Willkes Mikroartikel den Versuch unternommen, (jenseits der Forschung) situativ gebundene Erfahrungen so zu dokumentieren, dass auch andere sie „wiederverwenden“ können.
Damit will ich NICHT sagen, dass „E-Learning Patterns“ eine überflüssige Bewegung ist, insbesondere dann nicht, wenn damit fruchtbare Diskussionen, neue Studien und vor allem auch ein interdisziplinärer Austausch (wie das bei den Patterns wohl vor allem mit Informatikern der Fall ist) ausgelöst werden. Toll sind hierfür auch so umfangreich zusammengestellte Informationen, wie man sie auf e-teaching.org in einem eigenen Special zum Thema findet! Nur dürfen sich die Vertreter solcher neuen Gedanken nicht wundern, wenn speziell erfahrene Wissenschaftler aus Pädagogik und Didaktik etwas irritiert sind angesichts des Versprechens, dass hier gänzlich neue Gedanken zum Vorschein kommen – zumal, wenn sie dann vielleicht sogar – wie Peter meint – ziemlich trivial sind.
16. März 2009 um 20:41
Hallo Gabi,
Dein Eintrag hat mich auf die Idee gebracht, dass wir den Möglichkeiten des Pattern-Ansatzes nicht gerecht werden, wenn wir vor allem die vorliegenden pädagogischen Entwurfsmuster kritisieren. Es kann sich ja bloß um schlechte Ausführungen bzw. Lösungsmuster handeln. Wir müssen die Auseinandersetzung wahrscheinlich auf einer anderen – höheren – Ebene führen.
Peter
17. März 2009 um 19:46
Liebe Gabi, habe bei Peter einen etwas längeren Kommentar dazu geschrieben, nicht hier :-), Frank
18. März 2009 um 20:05
Ja, ja, die tollen Kommentare landen bei Peter 😉
Gabi
23. März 2009 um 17:18
Hallo,
ich hatte letze Woche auch an dieser Stelle einen längeren Kommentar geschrieben…habe ich den falsch abgeschickt?
Christian
23. März 2009 um 17:40
Hallo,
vielen Dank für den Diskussionsbeitrag zu Entwurfsmustern. Zunächst muss ich zustimmen, dass auf den ersten Blick der Muster-Begriff nicht viel Neues bringt. Wir alle sehen und erkennen Muster rund um die Uhr und überhaupt der gesamte Wissenschaftsbetrieb ist ja darauf ausgerichtet, Muster (z.B. als Gesetze oder Prinzipien) zu entdecken. Insofern kann ich mit der berechtigten Frage, ob Muster etwas Neues sind, auch sehr gut etwas anfangen. Muster im Allgemeinen sind meiner Meinung nach die natürliche Ordnungsform der Dinge in der Welt – auf Mikro wie auf Makroebene. Der Einwand, dass es bereits andere Konzepte und Ansätze zur Sammlung von anwendungsrelevantem Wissen gibt ist ebenfalls ein treffender und wichtiger Kritikpunkt. In der Tat ist es ein Schwachpunkt der Pattern Community, bislang zuwenig den Bezug zu bereits existierenden Ansätzen hergestellt zu haben. Hier ist zum Glück im Moment ein bisschen was in Bewegung gekommen. Ich denke, der Standpunkt in der Pattern Community war bislang, dass Muster doch sehr gut funktionieren und eine theoretische Auseinandersetzung daher nicht nötig ist. Dies mag aus praktischer Sicht sogar stimmen, wenn ich aber andere Fachdisziplinen vom Muster-Ansatz überzeugen möchte, müssen wir natürlich bessere Argumente finden. Da stellt sich die Frage, warum möchte ich überhaupt andere davon überzeugen?
Ein wenig aus Eigennutz: Mir fehlen bislang die expliziten Musterbeschreibungen, um für mich selbst ein besseres Verständnis von guter Lehre zu erlangen. Nun kann ich natürlich irgendwann meine eigenen Erfahrungen machen, aber hilfreich wäre es bereits von den Erfahrungen anderer zu lernen. Aus Informatiker-Sicht ist es zudem so, dass oft die Gestalter technischer Lehr-/Lernsystemen keine eigenen Lehrerfahrungen besitzen und somit auf eine leicht zugängliche Aufbereitung des handlungsrelevanten Wissens angewiesen sind. Auch wenn ich mich (auch) aus theoretischer Perspektive mit Mustern beschäftige, geht es mir vor allem darum, am Ende eine leicht zugängliche Sammlung guter praxisrelevanter Muster zu haben.
In den meisten Büchern über Pädagogik und Didaktik sind natürlich, wenn man sie aufmerksam liest, zahlreiche Muster zu finden. Der Punkt ist aber: ich muss diese Muster als Leser meist selber herausarbeiten. Ich muss selbst analysieren, welche Redundanzen sich in den beschriebenen Gestaltungs- und Handlungsformen befinden. Für mich ist das nicht unbedingt leicht, denn ich habe kein Pädagogikstudium absolviert, so dass mir Lehrpraktika fehlen; mit anderen Worten: vieles von dem, was erfahrende Lehrpersonen wissen und für trivial halten ist für mich, der bislang kaum Lehrerfahrung hat, nicht zugänglich. Ein einfaches Beispiel ist der Multiple Choice Test. Natürlich handelt es sich dabei um ein Muster, nämlich eine wiederkehrende Struktur in der Welt. Natürlich weiß ich auch – wie jeder, der zur Schule gegangen ist – was ein Multiple Choice Test ist. Doch was macht einen guten Multiple Choice Test aus und wann und wofür kann ich ihn einsetzen? Wieso ist er eine Lösung und für welches Problem? Warum verwende ich nicht eine andere Lösung? Was sind die Vor- und Nachteile? Eine explizite Beschreibung des Musters könnte die Heuristiken erfahrener Lehrpersonen, psychologische Erkenntnisse aus dem Labor und auch statistische Testeigenschaften zusammenfassen. Im Moment liegen diese Informationen (Kontext, Problem, Konsequenzen, Variationen, Stolpersteine usw.) verstreut in Büchern und auf Webseiten, die alle vereinzelte Aspekte ansprechen. Allein für die gerechte Bewertung eines Multiple Choice muss ich verschiedene wissenschaftliche Artikel durcharbeiten (und feststellen, dass einige Übungsaufgaben-Generatoren falsch bewerten). Zumindest habe ich noch keine Multiple Choice Beschreibung gefunden, die in der Pattern Community als Entwurfsmusterbeschreibung durchgehen würde. Dabei können erfahrene Lehrpersonen, die Fragen zum Verwendungskontext, über die Wirkkräfte und Tipps für eine gute Umsetzung meist beantworten. Sie haben also im Gegensatz zu mir dieses Erfahrungswissen.
Und dies ist vielleicht aus praktischer Sicht an Entwurfsmuster das neue: der Kontext, die darin auftretenden Wirkkräfte und Probleme, die Lösung und deren Konsequenzen gehören zwingend (!) in die Entwurfsmuster-Beschreibung. Methodensammlungen, die diese Analysedimensionen beschreiben sind selbstverständlich Entwurfsmuster – auch wenn die Autoren dies nicht explizit machen und vielleicht noch nie etwas von Entwurfsmustern gehört haben. Da bin ich mir z.B. mit Joachim Wedekind einig, dass Methoden und Muster nicht weit auseinander liegen (müssen). Methoden als wiederkehrende Gestaltungsformen sind Muster, jedoch sind sie nicht immer als Entwurfsmuster beschrieben (d.h. mit Explizierung von Kontext, Problem und generativem Lösungsansatz).
Die Forderung nach Generativität ist dabei ein weiterer wesentlicher Aspekt. Entwurfsmuster haben eine bestimmte Abstrahierungsform, die einerseits keine Beliebigkeit der Form zulässt (wie etwa bei allgemeinen Prinzipien) sondern konkret sagt, welche Formklasse gemeint ist: Wenn ich von „Fahrzeug“ spreche, dann ist keine Generativität mehr gegeben, denn damit könnte sowohl ein Fahrrad als auch ein Flugzeug gemeint sein. Wenn ich also sage „Lass uns ein Fahrzeug bauen“ kann man nicht sagen, was dabei später herauskommt (ein Fahrrad oder Flugzeug?). Wenn ich dagegen von der Gestaltung eines „Autos“ spreche, ist klar, dass am Ende kein Boot oder Skateboard herauskommen sollte. Das Muster „Auto“ besitzt also jene Generativität ebenso wie die spezielleren Formen „Cabriolet“ oder „Kombi“. Es gibt Millionen verschiedener Gestaltungsmöglichkeiten und doch wissen wir etwas über die Form. Dagegen ist das Muster „Twingo“ kein Entwurfsmuster mehr, da es eine zu spezifische, nicht mehr genügend variable Form, beschreibt: Man hat keinen Entwurfsspielraum mehr. Der „Twingo“ ist nur noch eine Schablone. Übertragen auf die Pädagogik könnte die Forderung nach Generativität bedeuten: „Test“ wäre zu abstrakt, da es keinen Gestaltungsraum beschreibt. „Multiple Choice“ ist dagegen ein Entwurfsmuster, da es einen Gestaltungsraum beschreibt. Die Führerscheinprüfung dagegen lässt keinen Gestaltungsspielraum mehr; die Fragebögen sind nur noch Exemplare einer festgelegten Schablone.
Aus praktischer Sicht sind daher für mich der Dreischritt Kontext-Problem-Lösung (und deren Explizierung), die Generativität und schließlich die Entkopplung einzelner miteinander kombinierbarer Bausteine zur Reduzierung der Komplexität das Wesentliche. Das alles gibt es natürlich auch schon in verschiedenen pädagogischen oder didaktischen Konzepten und in diesen – leider zu seltenen – Fällen handelt es sich einfach bereits um Entwurfsmuster (so wie ein Brief ein Brief ist ohne explizit als Brief deklariert zu sein). Durch das Aufspannen eines Gestaltungsraum sind Entwurfsmuster weder algorithmisch noch beliebig sondern legen Grenzen und Eckpunkte fest. Jede Dokumentation einer Gestaltmaßnahme, die diese Anforderung erfüllt und sowohl Kontext, Problem und eine generativ-generische Lösung bietet, würde ich als Entwurfsmuster klassifizieren.
Mit dem Entwurfsmuster-Ansatz sind also implizit eine Reihe von Eigenschaften und Qualitätsanforderungen verbunden, die zu theoretischen Überlegungen führen können. Dabei sind wichtige Fragen, woher die emergente Qualität eines Musters kommt, wie sich der Wert überhaupt beurteilen lässt, an welchen Grenzen man Muster auseinander trennen kann, wie Muster sich überlappen und multiplizieren, wie sich die Kausalität einer Lösungsmaßnahme aus den Wirkkräften ergibt, wie erfolgreiche Muster aus Good Practices und Fehlschlägen entstehen, ob die Musterstrukturen signifikant oder zufällig sind.
Der Unterschied zu Gesetzen oder Regeln besteht meines Erachtens vor allem in der Komplexität und Multikausalität von Mustern, deren einzelne Wirkfaktoren aufgrund der Emergenz nicht ceteris paribus kontrolliert werden können, sondern nur im stimmigen Zusammenspiel – wenn ich Frank recht verstehe, würde er dies als Kohärenz bezeichnen – beurteilt werden können. Mir scheinen hier vor allem qualitative Forschungsmethoden (wo der Ausdruck „Muster“ ohnehin üblich ist) angemessen. Sowohl der Architekt Christopher Alexander (mit seinem Hintergrund einer Mathematikausbildung) wie auch viele Akteure der Pattern Community (mit Informatikhintergrund) scheinen mit dieser Forschungsmethodik wenig vertraut wenngleich sie diese oft anwenden. Nur so kann ich mir erklären, dass im Pattern Umfeld so wenig Bezug auf das dort vorhandene, zum Pattern Mining oft geeignete, Methodeninventar genommen wird.
Beste Grüße,
Christian
24. März 2009 um 19:31
Hallo Christian,
ja, sowas – ich weiß auch nicht, warum ich keine Meldung zur Freigabe des Kommentars bekommen hab – sorry!! War keine Absicht – jetz aber ist er da – in voller Länge 🙂 Da muss ich erst drüber nachdenken – war unterwegs!
Gabi
27. März 2009 um 13:34
Hallo Christian,
dein Kommentar hilft sehr sich eine Vorstellung von der Eigenheit des Entwurfsmusters zu machen! Frank
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