Gabi Reinmann

Hochschuldidaktik

Eine echte Alternative

Hochschullehrende wird der März 2020 noch lange in Erinnerung bleiben: Man ist vorbereitet auf das nahende Semester und dann: Infolge einer Pandemie war in kürzester Zeit die Präsenzlehre zu „digitalisieren“, was auch immer man darunter dann verstehen mag. Jeder war davon betroffen. Ich war da erst mal ratlos: Wie transformiert man insbesondere zwei ganze interaktiv gestaltete Präsenztage mit jeweils sieben Stunden in eine digitale Variante?

Zum Hintergrund: Unser Masterstudiengang Higher Education (MHE) ist ein konsekutiver Studiengang, der allerdings berufsbegleitend studiert wird. Und das bedeutet: Es gibt keine wöchentlichen Veranstaltungen, sondern alle Module setzen sich auf zwei bis fünf Präsenztagen zusammen kombiniert mit Online-Phasen, die in der Regel (wenige) Aufgaben zur Aktivierung umfassen und in der Regel gleichzeitig die Prüfungsleistung vorbereiten (zur Erläuterung*).

Die Präsenztage haben sich in den letzten Jahren als sehr fruchtbar erwiesen. Wir haben eine sehr heterogene Zielgruppe: Alle haben schon einen akademischen Abschluss im Umfang von mindestens 240 Credit Points aus den verschiedensten Fachdisziplinen und sind in der Hochschullehre – lehrend oder die Lehre unterstützend – tätig. In meinen Modulen oder Veranstaltungen in Modulen strebe ich unter anderem aufgrund dieser Heterogenität an, die Teilnehmenden untereinander in Interaktion und Austausch zu bringen. Dazu gibt es verschiedene Einzel-, Tandem- und Gruppenarbeiten zu allen für die Veranstaltung relevanten Themen. Ein wichtiges Ziel ist es, auf diese Weise Lust zu machen auf die Lektüre ausgewählter Texte, die eine wichtige Rolle spielt, um sich der Hochschuldidaktik als Disziplin zu nähern. Die Lektüre erfolgt nach den Präsenztagen, unterstützt durch eine Online-Aufgabe, auf deren Bearbeitung es von mir Feedback gibt.

Ich spreche nun im Folgenden von den ersten beiden Tagen, die im Didaktik-Modul für die Hochschuldidaktik vorgesehen sind: Hier treffe ich unsere jeweils neuen Teilnehmenden das erste Mal und man lernt sich natürlich in diesen Tagen ganz gut kennen. Ausgelegt ist die Veranstaltung auf bis zu 20 Teilnehmenden; in der Regel sind es 12 bis 15, die dann tatsächlich beginnen (man kann jedes Semester starten). Mein erster Gedanke im März war, dass sich diese Präsenztage nicht ersetzen lassen: Die komplette Digital-Variante wird nicht mehr sein können als Emergeny Remote Teaching, eben WEIL die Präsenztage so wichtig für uns (geworden) sind. Da wir an der UHH alle aufgefordert waren, synchrone Formate auf ein Minimum zu begrenzen (Probleme mit Werkzeugen und Kapazitäten, die im März/April noch gravierend waren), war die Variante, zwei Tage am Stück irgendwie zu „simulieren“, schon mal gleich vom Tisch – und vermutlich wäre das auch nicht gut gegangen. Ein komplett asynchrones Angebot wäre wohl am ehesten dem klassischen „Fernstudium“ gleichgekommen: Dazu hätte man Lerneinheiten kreieren müssen, bei denen die Teilnehmenden völlig frei entscheiden können, wann sie diese absolvieren– Flexibilität pur! Das mag man als Vorteil sehen. Der Nachteil: keine Interaktion, kein Kennenlernen. Alles wäre ganz weit weg von unseren Präsenztagen und den damit verbundenen Zwecken und Zielen gewesen. Das kam für mich nicht in Frage – zumindest nicht bei den Studienstartern, die zum Einstieg ihren ersten Eindruck vom MHE mitnehmen, der ja schon auch prägend ist. Was also tun?

Ein dritter Weg musste her – und der bestand für mich darin, die beiden Präsenztage zeitlich zu „strecken“: zum Beispiel auf vier Wochen; im Anschluss daran erfolgt das Gleiche mit dem Mediendidaktik-Part; der Rest der „Vorlesungszeit“ ist dann frei für den Start des zweiten Moduls. Zeitlich, so die weitere Überlegung, sollte das passen. Die Kollegin für die Mediendidaktik war einverstanden, also haben wir diesen Weg eingeschlagen.

Die vier Wochen – sozusagen die „digitalisierten beiden Präsenztage“ – sind nun vorüber, und zumindest in meiner Wahrnehmung war es doch mehr als Emergency Remote Teaching: Ich bin inhaltlich komplett bei den Präsenzinhalten geblieben. Alle auf die beiden Präsenztage üblicherweise verteilten kurzen Inputs meinerseits habe ich als Videos von 9 bis 16 Minuten Länge (sechs an der Zahl) vorab umgesetzt und in OpenOLAT (unserem LMS) zur Verfügung gestellt. Die zahlreichen Aufgaben aus den beiden Präsenztagen habe ich umgearbeitet und stellenweise angepasst, aber auch in der Digital-Variante darauf geachtet, dass es sich um Einzel-, Tandem- und Gruppenarbeiten handelt. Neben einem Auftakttermin, der als Vorstellungsrunde für das gesamte Modul da war, gab es insgesamt vier einstündige Videokonferenz-Termine morgens um 8.00 (in der Hoffnung, dass das mit wenigen anderen Terminen kollidiert).Hier (Screenshot) zur Veranschaulichung die Seite, die als „Navigator“ in OpenOLAT für die Studierenden fungiert mit Links zu Videos und Aufgaben.

Die insgesamt fünf Aufgaben mit Interaktion zwischen den Teilnehmern sind so angelegt, dass sie möglichst nicht mehr als ca. 1 Stunde in Anspruch nehmen. Alles zusammengenommen (Videos, Aufgaben, Videokonferenzen), läuft es zeitlich darauf hinaus, dass rund 12 Stunden auf vier Wochen verteilt werden – in der Summe also in etwa so viel wie an zwei Präsenztagen abzüglich Mittagspausen. Sollten Studierende allerdings bereits während dieser Zeit selbst entscheiden, schon mit der Lektüre zu beginnen (denn Videos und Aufgaben verweisen jeweils auf Verbindungen zu den zusammengestellten Texten), dann können das freilich mehr Stunden werden – erforderlich aber ist das nicht. Die Lektüre ist auch später möglich und wichtig für den abschließenden Essay (bis Ende des Sommersemesters Ende September).

Doch wie gut sich ein auch noch so sorgfältig überlegter Plan letztlich in die Realität umsetzen lässt, ist vorab nicht eben leicht zu sagen. Ich war verhalten optimistisch, denn ein wenig Erfahrung in der reinen Online-Lehre habe ich ja, auch wenn einiges doch zeitlich schon etwas zurückliegt. Sicher aber war ich mir natürlich nicht! Nach Ablauf der vier Wochen kann ich sagen: Aus meiner Sicht hat das Konzept recht gut funktioniert. Alle Studierenden haben sich sowohl bei den Videokonferenzen als auch bei den Aufgaben aktiv beteiligt, ich hatte nach den synchronen Terminen sowie dem Lesen und Kommentieren von Aufgabenbearbeitungen durchaus das Gefühl, dass ich die „neuen“ Studierenden ein wenig kennengelernt habe und dass dies die Studierenden untereinander auch tun konnten; es kam zu synchronen und asynchronen Diskussionen und guten Ergebnissen. Und natürlich hoffe ich, auf dem skizzierten Wege auch Lust aufs Lesen gemacht zu haben.

Darüber hinaus sehe ich sogar einen klaren Vorteil: So anregend unsere Präsenztage auch sind und so groß ihr Potenzial insbesondere für den gegenseitigen Austausch auch ist, so „dünn“ ist regelmäßig die sich anschließende Online-Phase: Jedes Semester erneut habe ich den Eindruck, dass sich die Studierenden zu sehr auf die Präsenztage fixieren, darin mitunter das „eigentliche MHE-Studium“ sehen und dann Schwierigkeiten haben, sich im Anschluss ausreichend Zeit für die Lektüre und Online-Aufgabe zu nehmen. Freilich: Einige tun dies sehr wohl und dann auch stets mit gutem Erfolg. Andere eher nicht, weil sie vermutlich konkurrierenden Aufgaben nach „getaner Präsenzarbeit“ Priorität einräumen. Nun haben wir in der hier skizierten Online-Variante den Effekt, dass sich die Teilnehmenden tatsächlich vier Wochen lang mit der Hochschuldidaktik – verteilt – beschäftigen. Und das kann durchaus ein Vorzug sein. Wie sich das am Ende auf den, sich im Essay zeigenden und selbst wahrgenommenen, Lernerfolg wiederspiegelt, kann man freilich jetzt noch nicht sagen.

Mein Fazit: Wenn ich allein meinen Hochschuldidaktik-Part im Einstiegsmodul Didaktik betrachte, dann sehe ich sowohl in unserem üblichen Blended Learning-Modus als auch im reinen Online-Modus jeweils Vor- und Nachteile. Es ist also zum jetzigen Zeitpunkt meiner Einschätzung nicht so, dass wir einen Ersatz mit minderer Qualität haben, sondern eine echte Alternative. Keinesfalls ist diese besser als der „normale“ Modus, den wir seit dem Wintersemester 2017/18 anbieten – sie ist anders – also im wahrsten Sinne des Wortes eine zweite Möglichkeit, in die Hochschuldidaktik einzusteigen – mit einer anderen Qualität.

 

* Erläuterung zu den Präsenztagen in unserem MHE: Es sind (1) vier Präsenztage am Stück für das einführende Didaktik-Modul: zwei für die Hochschul- und zwei für die Mediendidaktik, (2) insgesamt fünf Präsenztage auf drei Zeiträume verteilte im Projektmodul und (3) je drei Präsenztage am Stück für die thematischen Module Lehr-Lernforschung, Hochschulforschung, Medienbildungsforschung und Wissenschaftsforschung; siehe hier.

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