Gabi Reinmann

Hochschuldidaktik

Jeans oder Anzug?

Wer ist schuld an der Bologna-Misere? Oder ist alles nur ein mieses Gerücht? Wer verbreitet es mit welcher Absicht? Die Meinungen sind geteilt, wie eine ganze Reihe von Beiträgen in der ZEIT demonstrieren – und an sich ist das ja nun wirklich nicht verwunderlich: Verschiedene Antworten kommen zustande durch verschiedene Perspektiven und dadurch, dass Lehren und Studieren in hohem Maße von einzelnen Personen abhängig ist – und die waren schon immer verschieden.

„Heute haben die Professoren die Jeans an und ihre Hiwis den Anzug“ – so die Beobachtung eines Hausmeisters an der Uni Tübingen – eine Beobachtung mit Symbolwert? Ja, das kann gut sein, wenn der „Anzug“ für Karrieredenken und die Jeans für zweckfreies Lesen, Denken und Schreiben stehen sollen. Aber so einfach ist das natürlich nicht! Sich konform zu verhalten, muss nicht Ausdruck von Denkfaulheit sein, und natürlich muss man sich hüten, sich überheblich über die Zukunftsängste junger Menschen zu erheben, keinen Job zu bekommen. Und daran ist der Bachelor schuld? Auch das wäre zu einfcah. Heinz-Elmar Tenorth findet seine Bachelor-Studierenden „wissbegierig, bildungsinteressiert und fleißig“. Eine in einem anderen Beitrag zitierte Studentin dagegen ärgert sich über Kommilitonen, die Leistungspunkte wie Rabattmarken im Supermarkt sammeln. Wer hat Recht? Die Frage ist aus meiner Sicht falsch gestellt: Jeder berichtet da aus seiner Warte und ich kenne sowohl die bildungsinteressierten Studierenden als auch die Punktejäger – je nachdem, ob sie sich für das interessieren, was ich anbiete, oder eben nicht. Neben dem Studierverhalten gibt es noch eine ganze Reihe weiterer Aspekte, die mal als kritisch, mal als unproblematisch in den neuen Studiengängen dargestellt werden: Auslandssemester und Betreuungsfragen kommen z.B. am häufigsten vor. Für jede Pro- und Contra-Sicht gibt es Beispiele und Argumente, die überall zustimmendes Nicken auslösen – auch wenn sie sich widersprechen.

Ein Studium ist allem voran von den beteiligten Personen abhängig: von den Studierenden und von den Lernenden. Die unterscheiden sich – das war schon immer so und das wird auch so bleiben. 100 Prozent Zufriedenheit auf beiden Seiten – das gibt es nicht. Wenn die Anrechnung von Leistungspunkten aus dem Ausland nicht klappt – sorry, aber da ist es eine Ausrede, wenn man die Politik dafür verantwortlich macht. Das macht der Prüfungsausschuss und der besteht aus Professoren. Das haben wir also als Hochschullehrer selbst in der Hand. Wenn man keine kreativen (und bedarfsorientierten) ad hoc-Lösungen in der Lehre mehr umsetzen kann, weil das nicht im akkreditierten Studiengang steht – ja, das ist schon schlechter: Da kann man als Hochschullehrer nicht so einfach den Weg gehen, den man inhaltlich an sich vertreten kann. Hier hat man uns bereits Handschellen angelegt. Setzen wir uns darüber hinweg und gefährden eine Akkreditierung, dann hat man Ärger am Hals – von den Kollegen und vielleicht auch von den Studierenden. Wenn die versprochene Betreuung im Bachelor nicht besser wird, dann reichen wir nochmal tiefer an tatsächlich bildungspolitische Grundsatzprobleme heran: „Schauen Sie sich den Stapel in meinem Büro an. Ich habe eine Siebentagewoche. Neun Stunden Lehrverpflichtung sind einfach nicht zu leisten, wenn man die neuen Lehr- und Lernformen ernst nimmt. Sie müssen die Mentoren und Tutoren für die Lehre betreuen, Reader mit der wichtigsten Literatur erstellen, auf studentische Kritik an den Lehrveranstaltungen eingehen. Und dann sollte man als Professor auch noch exzellent forschen, denn nach der Forschungsleistung bemessen sich der Erfolg und die finanzielle Zuweisung. Das ist irre! Man kann nicht verlangen, dass Studenten hierzulande so gut wie in Harvard betreut werden, aber kein Geld dafür investieren.“ Ternoth trifft einen wichtigen Punkt mit dieser Aussage – das kann ich nur unterstreichen!

Wir haben mit Bologna eine überfällige Reform der Hochschulen angeschoben, aber irgendwie hat man da zwei Esel vor einen langen und schweren Güterzug gespannt … und ihnen moderne Flyer umgehängt. Bei mir verursacht die ganze Exzellenz- und Wettbewerbsrhetorik im Zusammenhang mit Bologna inzwischen gewltigen Ärger, obschon ich rein gar nichts gegen Modularisierung, gegen Leistungspunkte und studienbegleitende Prüfungen habe. Und wieso sollte man als Hochschullehrer etwas dagegen haben, Studierende „berufsfähig“ zu machen – ja was sonst? Aber wieso bitteschön, sollten Wissenschaft und Forschung, auch ein forschendes Lernen, das Eindenken in eine Wissenschaft NICHT dabei helfen, einen Beruf verantwortungsvoll auszuüben? Wer um Gottes Willen hat denn in die Welt gesetzt, dass man sich Berufsfähigkeit nur in Trainings für Präsentieren und interkulturelle Kommunikation holen kann? Warum sollte man Forschungsmethoden erst im Master lernen – was ist denn das für ein Blödsinn? Wer den verzapft, der kann nie verstanden haben, was Wissenschaft, was wissenschaftliches Denken und Handeln gerade auch für praktische Problemlösungen leisten kann. Natürlich muss man dann die Brücke zur Praxis in der Lehre auch schlagen, indem man wissenschaftliche Angebote ergänzt durch Praxiskontakte und Projektseminare mit der Wirtschaft, durch Praktika und Kooperationen außerhalb der Uni.

Nicht die Grundidee von Bologna nimmt uns die Luft zum Atmen, sondern die bürokratische Umsetzung, der Unsinn mit den Akkreditierungsagenturen und die wiederholten Versuche, Studierende und Hochschullehrer gegeneinander auszuspielen – was auch die Medien gerne tun, die ja von den Schlagzeilen-tauglichen dummen Studierenden ebenso leben wie von den faulen Professoren. Ich hätte gerne Professoren in Jeans UND Anzügen; mir ist es völlig egal, ob Studierenden grüne Haare haben (haben sie aber nie – warum eigentlich nicht?) oder im Business-Kostüm herumlaufen. Das muss doch jeder selber wissen. Ich habe eher Angst vor Uniformität und davor, dass wir allesamt verlernen, selbst zu denken, einen eigenen Standpunkt zu entwickeln und einen persönlichen Weg zu finden, dass wir uns nicht mehr trauen, blödsinnige Regeln schlichtweg NICHT zu befolgen.

3 Kommentare

  1. Hallo Gabi,
    Danke für deinen Blog Beitrag.
    Deine Aussagen sind aus meiner Sicht zentral. Habe dazu ein Modell gefunden, dass gut deine Aussagen untermauert.
    Otto Schramer (vom MIT Learning Center) unterscheidet in seinem Buch „Theorie U“ – Kapitel 4 (http://www.amazon.de/dp/3896706799)
    zwischen 3 Sphäre der Aktivität in Unternehmen, die 3 grundsätzlich verschiedene Ansätze von Leadership/Management benötigen.
    Sphäre 1:Waren, Objekte (Push Strategie)
    Sphäre 2: Kunden Service, Prozesse (Pull Strategie)
    Sphäre 3: Innovation, Kreativität (Präsenz Strategie).
    Während ein Unternehmen viel von 1 und 2 aber auch eine Sphäre 3 benötigt (was heute manchmal fehlt, damit ein Unternehmen langfristig nachhaltig existieren kann), ist in der Lehre viel der Sphäre 3 notwendig, aber auch 1 und 2. Das Problem ist, dass seit Bologna die schweizerischen Hochschulen vor allem aus Sphäre 1 heraus wie ein KMU gemanagt werden und manchmal noch Sphäre 2 berücksichtigt wird, Sphäre 3 (DER ZENTRALE TEIL der Lehre, Forschung und Weiterbildung … den Lehren und Lernen ist ein kreativer Konstruktionsprozess) kümmerlich vernachlässigt wird, wenn nicht sogar vollständig übersehen. Ich denke das 3 Sphären Modell von Otto Schramer könnte sehr dienlich sein, um dein Anliegen in Zukunft an die Leute zu bringen.
    Grüsse Marc

  2. Liebe Kollegen
    die Reflektion über Bologna ist sicher mehr als angebracht (und ich bin erstaunt, dass der Prozess von Ihnen, Frau Reinmann, doch auch noch gute Noten bekommt). Ich begrüsse auch den Hinweis von Ihnen, Herr Pilloud, auf den Ansatz von Scharmer. Ich habe damit bei uns begonnen zu arbeiten und ansatzweise gute Erfahrungen gemacht. Allerdings kann ich noch nicht sagen, dass die irgendwie repräsentativ wären, aber immerhin motivierend und aussichtsreich.
    Was mir in beiden Ansätzen noch fehlt ist die Frage der Zukunftsausrichtung. Bildung leidet ja immer unter einem Zeitparadoxon (mit Inhalten und Konzepten der Vergangenheit Lerner in der Gegenwart für eine meist unbekannte Zukunft vorzubereiten) und stellt sich dem – nach meiner Sicht – eher selten.
    Wenn wir also als Bildungsorganisationen gestaltungsfähig sein wollen, ist ein gutes Testkriterium, wie zukunftsfähig diese sind. Daraus folgt, dass viele inhaltliche Fragen sich weniger und methodische sich stärker stellen. Und es entsteht daraus sofort die Frage nach dem Umgang mit Wandel an sich, also nach der Fähigkeit, Veränderungen zu vollziehen. Das stellt ganz andere Herausforderungen als etwa Akkreditorenpunkte zu erzielen und benchmarks zu erreichen.
    Einen schönen Abend und schönen Gruss,
    Andreas König.

  3. Hallo Herr König (ich behalte jetzt mal die gewählte „Sie-Anrede“ bei, obschon man mich hier – und dann natürlich auch darüber hinaus – duzen kann ;-),
    ich würde sogar ncoh weitergehen: Ich finde, die Hochschulen müssen nicht nur Gestaltungswillen für die eigene Zukunft entwickeln. Sie sollten sich auch mehr engagieren bei der Gestaltung anderer gesellschaftlicher Bereiche. Genau das wäre für mich ein unmittelbarer Nutzen der immrhin von Steuergeldern finanzierten Forschung.
    Gabi